2. November 2018

Cannstatter Chaos-Club

Category: Presse — Tags: , , , , , , , , – Franky @ 11:07

So lautete das Motto der großen Choreographie vor dem vorletzten Heimspiel gegen Werder Bremen, aus dem der bis dato einzige Saisonsieg resultierte.

Dass man als Tabellenschlusslicht, wenn man das Kunststück fertig bringt, von bislang zehn Pflichtspielen in sieben davon torlos zu bleiben, und als erstes Team der Bundesliga in der noch jungen Saison den Trainer wechselt, von der Presse nicht gerade zimperlich behandelt wird, liegt in der Natur der Sache.

Dass aber der neue Hoffnungsträger Markus Weinzierl nach zwei 0:4-Pleiten gegen zwei Championsleague-Teilnehmer schon ein Fehlstart angedichtet wird und hineininterpretiert wird, der Trainer-Effekt sei bereits verpufft, halte ich für weit hergeholt.

Diesen Fehlstart hat sich einzig und allein die Vereinsführung zuzuschreiben, die Korkut gewähren ließ und ihn schließlich viel zu spät entließ. Natürlich kann man einwerfen, Korkut hätte die beiden Spiele auch nicht schlechter coachen können, womöglich sogar mit weniger Gegentoren verloren, doch, das ist hypothetisch und brächte uns auch nicht wirklich weiter.

Weinzierl hatte nicht nur mit den Gegnern zum falschen Zeitpunkt Pech, auch die Spielverläufe müssen den „Neuen“ doch in den Wahnsinn treiben. Gegen Dortmund konnte er sein Konzept bereits nach zwei Minuten in die Tonne kippen, in Sinsheim nach 8 Minuten. Für die Unterzahl hat der VfB in Sinsheim eine ordentliche erste Halbzeit, wohl die beste der bisherigen Saison, gespielt und fiel dann nach dem Wechsel in seine Einzelteile auseinander. Das viel zitierte Spielglück war nicht auf unserer Seite, so dass es völlig verfrüht wäre, den Kopf in den Sand zu stecken.

Mir gefällt Weinzierl bislang, auch mit welcher Locker- aber auch Klarheit er die Pressekonferenzen absolviert. Im Gegensatz zu Vorgänger Korkut, der zwar viel stammelte, aber wenig sagte, hat man bei Weinzierl den Eindruck, dass er mit seiner lockeren aber doch bestimmten Art auch auf das Team überzeugend einwirken kann und sich etwas bewegt.

Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Erfolge einstellen und dann auch nach und nach die Verletzten zurückkehren. Ob heute schon das Glück auf unserer Seite ist und wir endlich mal in Führung gehen oder erst nächste Woche in Nürnberg, wir werden sehen. Jetzt bereits den Trainer anzuzählen wäre absurd, denn, er ist der, der am wenigsten für die Misere kann.

Diese hat sich die Vereinsführung zuzuschreiben. Natürlich waren wir, ich ja auch, im Sommer sehr guter Dinge, dass Reschke gut eingekauft hatte und Korkut genug Zeit gehabt hat, aus dem Personal eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Auf dem Papier lesen sich die Namen ja auch toll, ob sie charakterlich passen, ob sie gesund sind und ob der Trainer überhaupt etwas mit ihnen anfangen kann, dies zu hinterfragen und zu beurteilen ist aber doch Aufgabe der Verantwortlichen.

Offensichtlich passt es vorne und hinten nicht. Wenn man liest, dass Didavi mit den Problemen an der Achillesferse bereits aus Wolfsburg gekommen und es somit nicht verwunderlich ist, dass er selten einsatzbereit ist, muss man sich schon fragen, ob sie da unten noch alle haben, auf dieser elementar wichtigen Position auf einen Invaliden zu setzen. Ich mag Didavi unheimlich gerne und habe mich über dessen Rückkehr sehr gefreut, doch, unter diesen Umständen hätte ein verantwortungsvoll handelnder Sportdirektor und der Arzt, der den Medizincheck durchführte, Abstand nehmen müssen, den Transfer zu tätigen.

Welche Rolle Castro einnehmen soll(te), ist mir auch noch nicht so ganz klar. Mit seiner Vita erhebt er doch sicher einen Führungsanspruch im Team. Lassen das aber die Gestandenen, allen voran ein Gentner, überhaupt zu, dass hier ein neuer König ins Team drängt, der größer zu werden droht als man es selbst ist?

Ähnlich verhält es sich mit den jungen Wilden, die man dazu geholt hat. Alles ambitionierte Talente, doch, die Frage ist, hat einer der Arrivierten überhaupt ein Interesse daran, dass diese sich verbessern und an ihrer Stelle spielen oder hält man sie nicht bewusst klein?

Dies scheint noch immer das Kardinalproblem des VfB und die Wurzel des Übels der unzähligen Trainerwechsel der letzten Jahre zu sein, dass Neuzugänge bei uns eher schlechter werden und schneller die Lust verlieren, wie der Transfer eingetütet war.

Hat man dazu noch einen schwachen Trainer, wie es Korkut offensichtlich war, der lieber den Weg des geringsten Widerstands wählt und diesem Treiben keinen Einhalt gebietet, um bei den vermeintlichen Führungsspielern nicht anzuecken, kommt eben das heraus, was wir Woche für Woche bestaunen dürfen. Elf Einzelspieler, keine Mannschaft, und ein vogelwildes Auftreten in allen Mannschaftsteilen.
Dass der Trainer hier den falschen Ansatz wählte, hätte Reschke, der ja immer so nah dran ist, merken und schon aus ureigenem Interesse, nämlich dass seine Neuzugänge zünden, vehement dazwischen grätschen müssen. Ich bleibe dabei, spätestens nach dem Bayern-Spiel hätte Korkut weggemusst, was den Start von Weinzierl wohl um einiges leichter gemacht hätte.

So steht jetzt unweigerlich Reschke in der Kritik, der nicht nur die Fans als ahnungslose Vollidioten betitelt hat, sondern auch noch unverhohlen lügt. Zudem wird der VfB AG inzwischen vorgeworfen, dass man seit der Ära Mayer-Vorfelder keinem auf dem Wasen mehr eine solche Machtfülle eingeräumt hat, wie sie Reschke wohl genießt.

Der freie Journalist Oliver Trust konfrontierte den Aufsichtsratsvorsitzenden und Vereinspräsidenten Wolfgang Dietrich letzten Sonntag bei Sport 1 mit diesem Vorwurf, worauf Dietrich in gewohnt dünnhäutiger Manier reagierte. Mit dem einen oder anderen Vorwurf mag Trust übers Ziel hinausgeschossen sein, doch, was haften blieb, war, dass es in der AG vorne und hinten nicht stimmt. Dass es beim VfB keine One-Man-Shows mehr geben dürfe, hatte seinerzeit schon Robin Dutt angemerkt und viel Beifall dafür erhalten, nachdem er Fredi Bobic abgelöst hatte.

Nun, erst gute drei Jahre später haben wir sie wieder und zwar in einer noch nie dagewesenen Form. An der Spitze stehen mit Dietrich, dem Trust in Sachen Fußball-Kompetenz Ahnungslosigkeit vorwarf, ein Sonnenkönig, der andere Meinungen nicht akzeptiert und mit Reschke ein Sportdirektor, der erstmals in der ersten Reihe steht und Interview für Interview unterstreicht, weshalb man ihn bislang nicht auf die Öffentlichkeit losgelassen hat. Da wünsche ich mir doch den smarten Jan Schindelmeiser zurück, dessen Entlassung Dietrich noch immer nicht plausibel begründet hat.

Dass Trust mit seinen Vorwürfen in Richtung Vereinsführung bei manchem offene Türen einrannte, offenbart, dass Guido Buchwald nun aus der Deckung trat und unter der Woche scharf aus der Hüfte schoss. Er kritisierte die Vertragsverlängerung mit Tayfun Korkut und eben auch, dass es in der Vereinsführung an Sportkompetenz fehle. Ausgerechnet Buchwald bin ich geneigt zu sagen. Es klingt sehr nach verletzter Eitelkeit von einem, der es beim VfB in diesem Leben wohl zu nichts mehr bringen wird, außer eben zu einem einfachen Aufsichtsratsmitglied.

Als Aufsichtsrat Interna an die Öffentlichkeit zu tragen, damit hatte sich bereits Hansi Müller sein eigenes Grab geschaufelt. Wenn Dietrich dazu anmerkt, dass diese Vorwürfe von Buchwald Thema der nächsten AR-Sitzung seien, darf daraus geschlossen werden, dass Buchwalds Tage beim VfB ebenso gezählt sind.

Jedoch, bestimmt steckt auch bei Buchwalds Worten ein Fünkchen Wahrheit. Interessant dabei, dass auch ihm offensichtlich die Rolle, die Thomas Hitzlsperger spielt, nicht so ganz klar zu sein scheint. Er wird gerne als Sympathieträger vor den VfB-Karren gespannt, seine Kompetenz herausgestrichen, doch, was er genau mitzubestimmen hat, außer dass er der Gute-Laune-Onkel für die Jungs im Nachwuchsleistungszentrum ist, hat sich auch mir noch nicht so recht erschlossen.

Auch das Mitbestimmungsrecht des Aufsichtsrats erscheint nun in einem anderen Licht. Es ist mir schon klar, dass der Aufsichtsrat per Definition ein reines Kontrollorgan ist und sich aus dem Tagesgeschäft herauszuhalten hat. Doch, beim VfB ticken die Uhren eben anders. Der Aufsichtsrat hat sich selten herausgehalten und tut es auch heute nicht, wie die öffentliche Präsenz dessen Vorsitzenden unterstreicht. Bei der Schindelmeiser-Entlassung wurde Einstimmigkeit des Aufsichtsrats und Alternativlosigkeit vorgegaukelt, um von Dietrich bei Sport 1 erklärt zu bekommen, dass es noch ein (im Organigramm wohl nicht auftauchendes) Gremium, besetzt von Dietrich, Porth und Reschke, gäbe, das Entscheidungen treffe, „wenn diese schnell getroffen werden müssten“, so wohl die Korkut-Entlassung am (übrigen) Aufsichtsrat vorbei.

Es scheint so zu sein, als spiele der VfB schon seit der erfolgreichen Ausgliederungs-Mitgliederversammlung ein falsches Spiel. Zu lügen, dass sich die Balken biegen, wurde von den handelnden Personen salonfähig gemacht, schließlich kann man im schmutzigen Geschäft Profifußball selten die Wahrheit sagen, so will man uns weismachen.

Angefangen damit, dass man mit der Entlassung von Schindelmeiser erst herausrückte, als die Einspruchsfrist bzgl. der Ausgliederung verstrichen war und dass man uns bis heute nicht die Wahrheit gesagt hat. Dabei stand dem Vernehmen nach lang vor der (offiziell verkündeten) Schindelmeiser-Entlassung fest, dass Dietrich seinen Spezi Reschke holen möchte, hat Reschke doch bereits im Juni bei den Bayern um die Auflösung seines Kontraktes ersucht.

Dieses Gebaren zieht sich durch die Amtszeit Dietrichs wie ein roter Faden und ist das, was am Ende von seiner Amtszeit (hoffentlich kein weiterer Abstieg, hoffentlich auch kein (regionaler) chinesischer Investor) hängen bleiben wird. Den Kader, von dem man so überzeugt gewesen ist, will Dietrich indes im Winter aufbessern, damit auch die letzte Kohle, die die Ausgliederung in die Kassen spülte, verballert wird. Bislang hat man diese ja hauptsächlich in ein Gnadenbrot für Alt-Stars ohne Wiederverkaufswert gesteckt, das hat sich manch einer, der für „Ja“ stimmte, bestimmt anders vorgestellt.

Der VfB entpuppt sich einmal mehr als DER Chaosverein mit katastrophaler Außendarstellung. Gerade jetzt kommen solche Nebenkriegsschauplätze zur Unzeit, wünscht man es Weinzierl doch, dass er einigermaßen unbelastet an seine Aufgabe herangehen kann und ihm diese nicht schon in seinen ersten Wochen vom „schwierigen Umfeld“ erschwert wird.

Der VfB braucht auf Sicht wieder eine Identität, ein Wiedererkennungsmerkmal, für das er steht. Dieses erkennt momentan kein Mensch, seit der HSV in die Niederungen der 2. Liga verschwunden ist, wird kein Verein in der Bundesliga mehr mit Chaos assoziiert als der VfB. Daher gebietet es die sportliche Situation, dass sich alle beim VfB zurück nehmen und der Fokus allein aufs Sportliche gelegt wird.
Weinzierl ist die ärmste Sau und muss aus einem zu dünnen Kader (danke, Reschke!) mit etlichen Verletzten den Turnaround schaffen. Reschke, der ihm diese Situation (zu späte Korkut-Entlassung) und den zu dünnen Kader eingebrockt hat, sollte Weinzierl jetzt einmal vertrauen und dort den Hebel ansetzen lassen, wo er den Eindruck hat, dass es am meisten krankt.

Weinzierl sollte möglichst unbelastet und ohne vorgekaut zu bekommen, wer im Team wichtig zu sein hat, hier beginnen können. Ja, beginnen, denn, die Aufholjagd fängt ja jetzt erst an.

Dazu gehört es auch, der Ära Gentner endlich ein Ende zu bereiten und ihn draußen zu lassen, wenn er offensichtlich formschwach ist. Wenn mittlerweile selbst bei den Experten, siehe Sammer in dieser Woche, zur Achse des VfB nur noch meinen, Gentner gehöre dieser an, „er ist ja der Kapitän“, und nicht Leistung oder Wert der VfB-Ikone heraus gestrichen wird, sollte auch den Letzten klar werden, dass Vereinsliebe allein nicht genügen darf, Woche für Woche sein Unwesen auf dem Platz zu treiben. Dem VfB-Spiel, die wenigen herausgespielten Torchancen unterstreichen das, fehlt es an Geschwindigkeit, schon allein deshalb muss sich das Gerüst des Teams verändern, weg von der Rentnerband, hin zum (unbeschwerten) Jugendstil.

Jedes Mal, wenn es Gente drohte, an den Kragen zu gehen, war kurz darauf der Trainer weg, ich baue darauf, dass Weinzierl beim VfB etwas erreichen möchte und eventuellen Widerständen trotzt. Reschke täte gut daran, sich bei derartigen Entscheidungen herauszuhalten, schließlich ist Weinzierl wohl auch seine letzte Patrone.

Erstmals seit Wochen habe ich für heute ein gutes Gefühl! Freitagabend, Flutlicht, volles Haus und ein Gegner, der uns in der Vergangenheit meist gelegen hat. Ein guter Tag, den Bock umzustoßen, wenn, ja wenn nicht Leichtsinnsfehler oder sonstige Widrigkeiten wie bei Weinzierls ersten Spielen eintreten. Dann ist auch der beste Trainer machtlos.

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