12. Mai 2010

Christian Gross im Porträt: Härter als der Rest

Als Christian Gross noch ein junger ehrgeiziger Trainer war, da hat er eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Nicht auf dem Fußballrasen, aber auf dem Spielfeld des Lebens. Ausgelöst wurden diese inneren Turbulenzen durch ein Foto. Im Original zeigt es den heutigen Trainer des Bundesligisten VfB Stuttgart mit seiner damaligen Liebe Mona.

Ein Bild aus glücklichen Tagen. Der “Blick” hat es 1981 veröffentlicht. 14 Jahre später haben es die Redakteure der Schweizer Boulevardzeitung noch einmal aus dem Archiv gekramt und wieder gedruckt. Allerdings haben sie zuvor einen fetten Riss zwischen Herrn und Frau Gross montieren lassen, um zu dokumentieren, dass es aus sei zwischen dem Promipaar.

Dass seine Privatangelegenheit in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, hat Gross getroffen. Es hat ihn aber vor allem geprägt. Seither gilt für den Schweizer der Leitsatz: “Es gibt Geschichten über mich und es gibt Geschichten mit mir, aber es gibt keine Geschichten mit mir über mich.”

Der Anti-Babbel

Vor kurzem hat der erfahrene und nach wie vor sehr ambitionierte Trainer Christian Gross dem “Blick” wieder ein Interview gegeben. Darin hat der 55-jährige Fußballlehrer erzählt, dass er sich nun scheiden lasse, nach 28 Ehejahren. Und ja, er habe eine neue Partnerin. Mehr nicht. Im Grunde hat Gross genauso viel erzählt, wie er musste, um sich keine Feinde zu schaffen. Alles andere wäre Verrat an der eigenen Sache gewesen. So etwas macht Gross aber nicht. Dazu ist er zu konsequent, zu analytisch, zu berechnend.

Beim VfB haben sie gewusst, dass sie sich einen kantigen und auch kompromisslosen Übungsleiter in den Club holen. Sie haben im vergangenen Dezember aber vor allem gehofft, dass dieser Typ mit dem markanten Schädel mit seiner strengen und strikten Art den Anti-Babbel gibt und das Team aus der Abstiegszone der Bundesliga führt. Nun hat er es zur Europapokal-Teilnahme katapultiert. In Stuttgart haben sie jedoch nicht geahnt, dass sie einen Chefcoach verpflichten, der in der Ansprache so direkt, in der Art aber so distanziert ist.

Wie seine Vorgänger begrüßt Gross zwar alle VfB-Mitarbeiter per Handschlag, wenn er auf das Vereinsgelände kommt, doch näher lässt er niemanden heran. Er siezt sie alle: die Führungsriege, die Platzwarte, die Fans, die Spieler, ja selbst den Manager Horst Heldt. Bisweilen erweckt es den Eindruck, als wisse auch Heldt nicht wirklich, was Gross gerade vorhat. Wie mit einer unsichtbaren Mauer umgibt sich der Trainer. Manche nennen es Aura, andere beschreiben es als Unnahbarkeit.

“Ein Trainer muss immer wach sein”

Doch egal, auf welche Weise man versucht, sich dem Polizistensohn aus Zürich-Höngg zu nähern, eines bleibt unbestritten: Christian Gross ist ein Mann, der dem Erfolg alles unterordnet. Nichts in seinem Denken und Handeln ist auf ein anderes Ziel ausgerichtet als auf den nächsten Gegner, den nächsten Sieg. “Ein Trainer muss immer wach sein”, sagt Gross. Er ist es häufig 18 Stunden lang am Tag und versteht seinen Job auch als permanente Fortbildungsquelle: Trainingslehre, Taktik, Mannschaftsführung, Management, Marketing, Sportpsychologie, Öffentlichkeitsarbeit, und, und, und. Ständig will Gross mehr wissen, seinen Trainerhorizont erweitern.

Auf den Fußball in all seinen Facetten sollen sich auch die Spieler fokussieren. Tun sie es, ist alles gut. Tun sie es nicht, haben sie ein Problem. In einem spanischen Trainingslager hat Gross einmal die Profis seines früheren Arbeitgebers FC Basel nach den Ergebnissen der Primera División am Abend zuvor abgefragt, in der Kategorie Sporting Gijon gegen Real Valladolid.

Der VfB-Trainer selbst ist permanent auf Empfang, was den nationalen und internationalen Fußball anbelangt. Er schaut häufig DVDs, saugt alle Informationen auf, die er erhalten kann. Früher soll er mit einer Stoppuhr vor dem Fernseher gesessen haben, um zu erfahren, wie lange englische Spitzenteams von der Balleroberung bis zum Torabschluss brauchen. Heute seziert er den Gegner mit moderner Technik, füttert die Mannschaft mit dessen Stärken und Schwächen, trichtert ihr seinen Plan ein – ausgehend von seiner Persönlichkeitsanalyse des gegnerischen Kollegen. Immer wieder die gleichen Sätze formulierend, bis sie fast zum Mantra werden.

Autorität und Glaubwürdigkeit

Detailbesessen nennen sie Gross deshalb überall dort, wo er bisher gearbeitet hat. Den FC Aarau hat er vor Jahren sechsmal beobachten lassen, und am Ende fuhr Gross noch selbst in die Provinz, um sich ein Trainingsspiel des deutlich schwächer eingeschätzten Kontrahenten anzusehen. Allerdings hat den Schweizer Meistermacher nur bedingt die Sorge umgetrieben, ihm sei eine Nuance entgangen, Gross wollte ein Signal senden: Seht her, ich nehme den Gegner ernst, sehr ernst sogar.

Der FC Basel gewann die Partie mit 6:0 – und Gross an Autorität und Glaubwürdigkeit. Das ist es, worauf es ihm ankommt. Gross will für die Spieler eine verlässliche, aber keine berechenbare Größe sein. “Die Spieler müssen mich nicht lieben, aber sie sollen mich mögen”, sagt er.

Zu der bekannt harten Hand kommt so eine Portion Einfühlungsvermögen. Zumindest, wenn es dem Resultat dient. Sonderbehandlungen gibt es aber nur zu einer Bedingung: Sie müssen mit Extraleistungen zurückgezahlt werden. Beim VfB ist zuletzt der eskapadenreiche Jens Lehmann in diesen Genuss gekommen. Der Torwart durfte aus privaten Gründen einige Male beim Training fehlen. Der filouhafte Alexander Hleb hat dagegen zu spüren bekommen, dass der Trainer reizen, provozieren, auch verletzen kann.

Gross ist ein Allesalleinmacher

So hat Gross in Stuttgart, wo sich für ihn fast alles im Korridor zwischen Innenstadthotel und Vereinsgelände in der Mercedesstraße abspielt, ein klares System installiert. Der Weg in die Anfangself führt über Leistungswillen und Leidenschaft, der Weg aus dem Team über Verletzungen und Sperren – oder den offensichtlichen Mangel an den beiden Aufstellungskriterien. Von Sympathien und Sentimentalitäten lässt sich Gross nicht leiten. Verdienste und Vereinszugehörigkeiten zählen ebenso wenig, sofern er sich nichts davon verspricht.

Nicht selten bekommen die VfB-Profis die hohe Einsatzbereitschaft, die Gross von ihnen einfordert, vor Augen geführt: Wenn sie auf den Parkplatz fahren und ihren Chef schon auf dem Übungsplatz sehen. Gross misst dann Felder ab, stellt Hütchen auf. Denn trotz des Co-Trainers Jens Keller, weiterer Assistenten und dem Vorhaben, den Trainerstab zu erweitern, ist Gross ein Allesalleinmacher, auch ein Allesalleinentscheider. Zumindest behaupten sie das in Basel, wo er zehn Jahre lang tätig war.

Dort hat sich nach siebenjähriger Zusammenarbeit sein Co-Trainer Fritz Schmid verabschiedet, weil er es satt hatte, immer nur den Handlanger zu geben, nie etwas selbst gestalten zu dürfen. Im Zweifel vertraut Gross also dem Menschen, den er am besten kennt: sich selbst. Und es wird spannend zu beobachten sein, wie der machtbewusste Trainer versucht, schrittweise den VfB in den Griff zu bekommen.

“Swiss Army Chief”

Das Gross dies anstrebt, davon gehen die Fußballexperten in der Schweiz aus. Der Mann, dessen Erscheinungsbild an den kahlköpfigen Kojak erinnert – und der auch so cool sein kann wie der legendäre Fernsehpolizist mit dem Lolli im Mundwinkel -, schickt sich an, auf dem Wasen sein neues Fußballreich zu errichten.

Beim FC Basel hat Gross sich vehement in die Vereinspolitik eingemischt, sich öffentlich mit Gigi Oeri, der Clubpräsidentin und Miterbin eines Pharmakonzerns, gerieben. In Stuttgart gibt er sich zurückhaltend. Noch. “Als Trainer muss ich aber mitreden können”, sagt er. Jeder Sieg stärkt dabei seine Position. Und Gross will nicht nur eine Elf haben, die gelegentlich wie eine Gross-Mannschaft spielt: schnell und schnörkellos. Er will auf Sicht über eine Gross-Mannschaft verfügen. Mit Spielern, die er ausgesucht hat, und die seiner Vorstellung von Professionalität entsprechen.

Das Gross beim VfB nicht schon von Beginn an fordernd aufgetreten ist, gehört zum Kalkül – und hat auch mit der Vergangenheit zu tun. Schon einmal ist der Trainer im Ausland gescheitert. Im November 1997 ging er nach England, rettete Tottenham Hotspur vor dem Abstieg, wurde aber zehn Monate später entlassen. Der Saisonstart war missraten, doch vor allem kam Gross bei den britischen Medien nicht an. Sie verhöhnten den Disziplinfanatiker aus der Schweiz als “Swiss Army Chief”.

Gnadenlos gute Bundesligabilanz

Doch Gross ist kein Schleifer. In seiner Heimat haben sie ihn sogar mal als den “weichsten Trainer” betitelt, weil er nach einer herben Niederlage kein Straftraining ansetzte. Gnadenlos gut ist aber vor allem seine Bundesligabilanz. 42 Punkte in 18 Spielen, eine meisterliche Ausbeute.

Genugtuung oder besonderen Stolz verspürt Gross deshalb nicht, in solchen Gefühlskategorien denkt er nicht. Seine Erfolge und Erfahrungen haben ihn gelassener werden lassen. Selbst mit seiner inneren Haltung kann der Trainer mittlerweile kokettieren. Bei seinem Abschied aus dem Basler St.-Jakob-Park vor einem Jahr erklang Bruce Springsteen aus den Stadionlautsprechern: “Tougher than the rest” – härter als der Rest. Gross hatte sich dieses Lied gewünscht. Es ist ein Rocksong über einen Typen, der sich vielen Widrigkeiten zum Trotz als Sieger fühlt.

(STZ 11.5.10)

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