Fußball ist Leidenschaft, Fußball ist Emotion. Deswegen pilgern Woche für Woche Hunderttausende in die Stadien der Republik, und das trotz der Überlegenheit der Bayern und der vermeintlich fehlenden Spannung in der Meisterschaft. Warum? In erster Linie wohl, weil Fußball nicht immer berechenbar ist, man die Ergebnisse nicht auf dem Reißbrett vorhersagen kann. Mit ein Grund, dass die Wettanbieter Hochkonjunktur haben und der Fußball trotz gestiegener Preise, trotz dem Verkommen zur Eventveranstaltung, trotz Übersättigung durch Fernsehübertragungen nach wie vor Millionen in den Bann zieht.
Fußball ist aber auch Krampf, harte Arbeit, humorloses Ballgeschiebe, ein dahinsiechen, wie wir es beim VfB seit einigen Jahren, einige wenige Ausnahmen ausgenommen, erleben (müssen). Gerade Heimspiele sind in letzter Zeit wenig vergnügungssteuerpflichtig, sind träge, der Funke springt aufgrund fehlender Leidenschaft und Begeisterung auf dem Platz selten auf die Ränge über. Die Ultras in der Cannstatter Kurve sorgen zwar immer für ein Fahnenmeer und supporten durchgängig durch rhythmisches Klatschen und ihre Gesänge, ziehen aber doch weitestgehend ihr Ding durch, ganz unabhängig vom Spiel und vom Spielverlauf. Lediglich wenn mal wieder das leidliche „Auf geht’s Stuttgart kämpfen“ oder „wir wolln Euch kämpfen sehen“ aus tausenden Kehlen intoniert wird, weiß auch der, der nicht so bei der Sache ist, dass die Kacke mal wieder gehörig am dampfen ist. Ansonsten nehme ich das Gros der Auftritte meines VfB in den letzten Jahren, auf und außerhalb des Platzes, als relativ emotionslose Veranstaltung wahr. Zu uns auf der Haupttribüne Seite, Richtung Untertürkheimer Kurve“, schwappt selten Stimmung herüber, der Gästeblock, selbst wenn lediglich 1.800 Leverkusener da sind, ist da meist lauter. Daher sehe ich Spiele im Neckarstadion, unserem „Wohnzimmer“, schon seit geraumer Zeit eher als Pflichtveranstaltungen an, und freue mich mehr auf die Auswärtsspiele. Dort sind dann die wirklich Supportwilligen, dort bebt der Block von Anfang bis Ende, dort repräsentiert man die Stadt und den VfB und möchte ein gutes Bild abgeben. Und das optisch, akustisch, von der Anzahl der Mitfahrer und bestenfalls auch durch das eigene Verhalten und dem Respekt gegenüber dem Heim-Verein, den Heim-Fans.
Weshalb ich so aushole, um zum eigentlichen Thema dieses Berichts zu gelangen? Weil wir gerade am Samstag wieder alle Facetten dieser so herrlichen Sportart zunächst über uns ergehen lassen mussten und später genießen durften. Ein Wechselbad der Gefühle, zwischen totalem Frust und totaler Lethargie bis hin zur Schnappatmung in den letzten Minuten war alles geboten, was der Mensch an Gefühlsregungen empfinden kann. Vom ersten Frustbier nach noch nicht einmal einer Viertelstunde bis hin zu Standing Ovations in gerade einmal 75 (Spiel-) Minuten. Die Dramaturgie dieses Spiels war kaum zu überbieten. Doch, der Reihe nach.
Der letzte Sieg gegen Leverkusen liegt 4 ½ Jahre zurück, zudem haben sie einen Stefan Kießling in ihren Reihen, der in schöner Regelmäßigkeit gegen den VfB trifft. So hatte ich schon vor dem Spiel die Vorahnung, dass es bitter werden könnte, wenn man den Gegner spielen lässt.
Leverkusen, mit dem Championsleague-Spiel gegen St. Petersburg vor der Brust und zuletzt nur einem Heim-Remis gegen Paderborn im Gepäck, stand also auch unter Druck, ist ihr Anspruch doch (mindestens) wieder ein Championsleague-Startplatz. In meinen Posts auf Facebook vor dem Spiel machte ich noch auf die Qualitäten der Leverkusener aufmerksam, dass sie die Frühstarter der Liga sind und man tunlichst von Beginn an „höckschte Konzentration“ an den Tag legen muss, um nicht ein böses Erwachen zu erleben.
Den VfB sah ich zwar in Berlin nicht so schlecht wie viele andere, erkenne langsam aber sicher auch mehr Struktur im Spiel und sehe vor allem eine Weiterentwicklung. Dennoch bin ich auch Realist und attestiere dem einen oder anderen Mann in unserem Kader kein Bundesligaformat. Ein bundesligatauglicher Spieler muss auch so etwas wie Konstanz an den Tag legen, Fehler minimieren und vor allem die gleichen nicht immer wieder machen. Ein Spieler, der sich im Stahlbad Bundesliga durchsetzen möchte, sollte sich auf sein Spiel konzentrieren und Reaktionen von außen ein Stück weit ausblenden können. Klar, kommen jetzt wieder diejenigen, die meinen „Fußballer sind auch bloß Menschen“, worauf zunächst nicht zu widersprechen ist. Aber, auch der Beruf des Profifußballers bringt einige Anforderungen mit sich, eine davon ist die Belastbarkeits- und Konzentrationsfähigkeit in Stresssituation, wer dem nicht gewachsen ist, sollte einen Mentaltrainier in Anspruch nehmen. Wer darüber jammert, das Stuttgarter Publikum wäre schwierig oder gar Schuld an der einen oder anderen Niederlage, auch demjenigen würde ich raten, sich an die eigene Nase zu fassen und sich auf das Geschehen auf dem Platz zu konzentrieren anstatt sich mit Nebengeräuschen, im wahrsten Sinne des Wortes, zu beschäftigen.
Veh erklärte bereits auf der Pressekonferenz vor dem Spiel, man wolle defensiver antreten als zuletzt und dadurch versuchen, Leverkusen das Durchkommen schwerer zu machen. Anders als zuvor Köln, Hoffenheim und Hannover, die weitestgehend hinten drin standen und einzig auf Fehler vom VfB lauerten, war es von den spielstarken Leverkusenern zu erwarten, dass sie selbst die Initiative ergreifen wollen. So fand sich also eine neu formierte Viererkette wieder, mit Schwaab als rechtem Verteidiger, dem Innenverteidiger-Duo Niedermeier/ Rüdiger und Klein auf der für ihn ungewohnten linken Seite. Für den Schorsch, als Typen und wie ich ihn auch bei diversen Trainingslagern oder auch zuletzt dem Kabinenfest erlebt habe, der so etwas wie mein Lieblingsspieler in der derzeitigen Truppe ist, freute ich mich, dass er sein erstes Spiel von Beginn an machen durfte.
In meinen Tippspielen hatte ich optimistisch 2:2 getippt und hätte diesen Punkt mit Kusshand angenommen. Man weiß es ja nie, wie sich die Mannschaften nach einer Bundesligapause präsentieren, ob sich ein Trend von davor fortsetzt oder abgeschnitten wurde, ob die Spieler sofort wieder auf Vereinsmodus umschalten können oder mit den Gedanken noch in ihren Heimatländern sind.
Wie bereits erwähnt, hält sich meine Emotionalität vor Heimspielen in engen Grenzen, so hatte ich mein eigentliches Highlight des Tages, das Vorglühen und Fachsimpeln mit Freunden und Bekannten im Biergarten des Stuttgarter Sportclubs (SSC), schon hinter mir, als ich gegen 15.15 Uhr, früh für meine Verhältnisse, meinen Platz im Block 3B einnahm. Nach dem Verkünden der Mannschaftsaufstellung von Bayer Leverkusen und der Präsentation unserer Formation durch unseren Stadionsprecher Holger Laser folgten ein paar Songs, die das Zeug zur Hymne hätten, wie „Troy“ und „Für immer VfB“. Dennoch sind wir zu meinem Bedauern einer der ganz wenigen Vereine in den ersten 3 Ligen, die keine eigene Hymne haben, wo keine Schalparade vor dem Spiel stattfindet, nichts, das einen so richtig auf die anstehende Partie einstimmen würde. Ob dies damit zusammenhängt, dass die Ultras dem Verein im Zuge des Stadionumbaus unter anderem abrangen, die letzten fünf Minuten vor Einlauf der Mannschaften, sollten ihnen gehören, weiß ich nicht. Mir geht das jedenfalls ab, bekomme ich doch in einigen Stadien richtig Gänsehaut beim Intro und wenn das Vereinslied aus Zehntausenden Kehlen geschmettert wird.
Veh wechselte im Vergleich zum Spiel in Berlin vor der Länderspielpause gleich drei Mal. Statt Sakai, Gruezo (beide wohl wegen der weiten Länderspielreisen erst einmal draußen) und dem angeschlagen von der Nationalmannschaft zurückgekehrten Kostic, begannen Niedermeier, Harnik und Werner. Wie das Spiel dann begann, ist kaum in Worte zu fassen, spottet jeder Beschreibung, war einfach erbärmlich und desolat.
Das Spiel war erst gute drei (!) Minuten alt, als der VfB den ersten Nackenschlag zu verkraften hatte. Brandt auf Kießling, der von Niedermeier im Strafraum um gerempelt wurde und den Ball dennoch zu Son stolpern konnte, dieser wiederum ließ Rüdiger und Kirschbaum wie F-Jugendliche ins Leere laufen und konnte den Ball somit ins verwaiste Tor einschieben. Unerklärlich wie naiv eine an und für sich gestandene Bundesligamannschaft in ein solches Spiel gegangen ist, und das gegen einen Gegner, dessen Qualitäten hinlänglich bekannt sind.
So nahm das Unheil also schon früh seinen Lauf und ich versank mehr und mehr in meinem Sitz. Als gerade einmal fünf Minuten später Thorsten Kirschbaums Befreiungsschlag zu kurz geriet und direkt bei Son landete, dieser den Ball mit der Brust annahm und aus 25 Metern sehenswert über Kirsche hinweg abschloss, schienen beim VfB alle Dämme zu brechen. Kirschbaums erster grober Schnitzer im dritten Spiel seit der Ulle-Ablösung und schon treten Ulles Jünger wieder auf den Plan und fordern einen erneuten Torwartwechsel. Veh hat zum Glück bereits verlauten lassen, wenn er von einer Sache überzeugt sei, ziehe er das durch, so dass ich guter Dinge bin, dass sich Veh davon nicht beeinflussen lässt. Kirschbaum ist der bessere Fußballer, Ulle ist für mich und dem Vernehmen nach auch für Armin Veh kein guter Torwart, wenn man das Gesamtpaket betrachtet. Für mich stellt sich daher nur die Frage, hat Kirschbaum das Zeug dazu auf lange Sicht unsere Nummer 1 zu sein oder müssen wir dem jungen Vlachodimos eine Chance geben oder gar einen Torhüter hinzu kaufen. Ich drücke Kirsche die Daumen, dass er diesem Druck, den er als Nachfolger der Ikone Ulreich zweifellos hat, gewachsen ist und seine Kritiker verstummen lässt.
Diese langjährige Schwachstelle hat Veh behoben, an einigen anderen wird er noch viel zu tun haben. Vogelwild präsentierte sich der VfB in dieser denkwürdigen ersten Halbzeit. Son Latte, Kießling Pfosten, das nach einem katastrophalen „Rück-Kopfball“ vorbei am heraus eilenden Kirschbaum durch Antonio Rüdiger, eine Großchance von Bellarabi und schließlich das 0:3 durch den Länderspieldebütanten Bellarabi, der sich in Slapstickmanier gleich gegen fünf VfBler durchsetzen konnte. Eine einzige Chance hatte der VfB in der ersten Halbzeit, als Gentner Niedermeiers Kopfballvorlage aus zwei Metern zehn Meter über das Gehäuse bugsierte. Es wäre das zwischenzeitliche 1:2 gewesen. So wurde die Mannschaft mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Kabinen verabschiedet, das 0:3 war noch schmeichelhaft, es hätte gut und gerne 0:6 stehen können.
Veh korrigierte seine Anfangs-Aufstellung, nahm Rüdiger heraus, stellte Klein und Schwaab auf ihre ursprünglichen Positionen zurück und brachte Hlousek auf links, der zu seinem ersten Bundesligaspiel für den VfB kam. Armin Veh tat mir schon ein wenig Leid, wenn man ihn beobachtete. Er probiert viel und bekommt dann einen solchen Hieb von seinen Jungs serviert, gefühlt Minuten wandte er sich nach dem 0:2 vom Spielgeschehen ab und hämmerte frustriert aufs Dach der Trainerbank.
Ich bin im Übrigen ein großer Befürworter dieser Personalrochaden, mit denen uns Veh Woche für Woche überrascht. In den letzten Jahren vermisste ich diese Art der Abwechslung, war ein Großteil der Stammplätze in Stein gemeißelt, heute, unter Veh, darf sich dagegen keiner zu sicher fühlen.
Da es ein „Weiter so“ in der zweiten Halbzeit nicht unbedingt geben sollte, war es klar, dass Veh zur zweiten Halbzeit Umstellungen vornehmen würde. Dieses Mal traf es zu Recht Jung-Nationalspieler Antonio Rüdiger, tatsächlich den Schlechtesten in einer ganz schlechten Mannschaft. Es ist mir klar, dass ein 21-Jähriger alles erst einmal verkraften muss, was zurzeit auf ihn einprasselt. Angebliches Interesse von Chelsea, zudem Neu-Nationalspieler und zuletzt maßgeblich beteiligt am späten Ausgleichstreffer der Iren unter der Woche. Nicht wenige fragen sich in dem Zusammenhang, wie wenig man mittlerweile mitbringen muss, wie wenig man bisher geleistet haben muss, um Nationalspieler in unserem Land werden zu können. So steht er jetzt unter bundesweiter Beobachtung und bekam nach dem Irland-Spiel einiges auf die Ohren! Veh hat nach dem Spiel zu Recht zu Protokoll gegeben, dass er auch sieben Andere hätte herausnehmen können.
In und nach der Halbzeit wandten die Ultras dem Spielfeld den Rücken zu und stellten den Support berechtigterweise gänzlich ein. Es war eines VfB’s unwürdig, wie sich diese unsere Mannschaft her spielen ließ, wie man den Gegner zum Tore schießen einlud. Die Kabinenansprache soll nicht laut, jedoch sehr sachlich gewesen sein. Ermutigend, aber auch an der Ehre packend, erinnernd, wie unberechenbar der Fußball ist, was alles möglich ist, wenn man nur an sich glaubt.
Und, in der Tat der VfB kam selbstbewusster aus der Kabine. Natürlich mag es eine Rolle gespielt haben, dass die Körpersprache der Leverkusener eine andere war, dass sie wohl annahmen, die Führung locker, leicht und ohne weitere Kraftanstrengung ins Ziel schaukeln zu können. Schließlich steht am Mittwoch das nächste Champions League Spiel gegen Zenit St. Petersburg auf dem Programm, für das man sich ja von nun an schonen könne.
Nach kurzer Findungsphase dauerte es nicht lang, ehe Klein ungehindert in den Strafraum flanken konnte und Timo Werner ebenso frei zum Kopfball kam und den Anschlusstreffer erzielte. Der VfB war jetzt da. Zwar hatte Leverkusen kurz nach dem Anschlusstreffer noch die Konterchance zum 1:4, doch, es war jetzt ein anderes Spiel. Der VfB agierte sicherer und befand sich auf einmal auf Augenhöhe mit den zuvor so in jeder Hinsicht überlegenen Leverkusenern. Maxim kam für Leitner und gerade einmal zwei Minuten nach seiner Einwechslung schlug er eine Freistoßflanke scharf in den Strafraum, Leno faustete im Stile eines Anfängers direkt in die Mitte und vor die Füße von Florian Klein, dieser nahm wuchtig Maß und zimmerte die Kugel ins vom Schützen aus gesehen rechte Toreck. Ein Hammer-Tor, genial und mit der Intensität eines Urschreis.
War ich beim 1:3 kaum aufgesprungen, zu sehr saß noch der Frust der ersten Hälfte, war auch ich plötzlich wieder da. Auf einmal war Tempo, Leidenschaft, Kampfgeist zu sehen, die erste Halbzeit wie weggeblasen! Dann, knapp zehn Minuten später, Duplizität der Ereignisse. Kostic kam für Werner ins Spiel, und wiederrum nur zwei Minuten später, durfte er eine Freistoßflanke von der anderen Seite scharf herein schlagen, die Martin Harnik am langen Pfosten über die Linie bugsieren konnte. 3:3, das Stadion auf einmal ein Tollhaus. Danach drängte der VfB gar sogar noch auf den Sieg, hätte ihn am Ende vielleicht sogar auch verdient gehabt. Kurz vor Schluss vereitelte Kirschbaum durch eine tolle Parade erst das 3:4, kurz darauf hatte Martin Harnik in der Nachspielzeit zwei Mal den Siegtreffer auf dem Fuß und auf dem Kopf, wobei Bernd Leno diese beiden Chancen herausragend vereitelte.
Am Ende stand also ein nicht für möglich gehaltenes 3:3 nach einem Spiel das seinesgleichen sucht. Ähnlich mitreißend war in der jüngeren Vergangenheit das 4:4 in Dortmund, an ein solches Heimspiel-Feuerwerk kann ich mich kaum noch erinnern.
Bei allen Lobeshymnen jetzt über die Moral und die Wiederauferstehung des Brustrings gibt natürlich die erste Halbzeit schwer zu denken. Amateurhaftes Abwehrverhalten, eine Naivität im Spiel und abermals ein Kapitän, der nicht zu sehen war, so ging dieses Truppe sang- und klanglos unter und zerfiel phasenweise in ihre Einzelteile.
Glück für uns, dass Leverkusen in der zweiten Halbzeit mehr als nur einen Gang zurückschaltete. Es bewahrheitet sich immer wieder, dass man nicht nachlassen darf und es sehr schwierig ist, den Schalter abermals umzulegen, wenn man wieder einen Zahn zulegen sollte. Leverkusen schaffte es nicht und ließ sich auf einmal in ihre eigene Hälfte zurück drängen.
Wohl dem, der, wie der VfB im zweiten Spielabschnitt, von der Bank mit Leuten wie Maxim und Kostic nachlegen kann. Das könnte im Verlauf der Saison noch ein Joker werden im Vergleich zu den anderen Abstiegskandidaten. Der Kader ist in der Breite nämlich gar nicht so schlecht aufgestellt im Vergleich zur direkten Konkurrenz im Tabellenkeller.
Mit Daniel Ginczek wächst zudem noch eine treffsichere Alternative heran. Beim 5:1-Sieg unserer Amateure gegen den Stadtrivalen Stuttgarter Kickers traf er erneut, so dass man sich auf ihn freuen darf, wenn er denn bald reif für die erste Mannschaft ist, zumal die Torflaute von Vedad Ibisevic mittlerweile groteske Züge annimmt. Der Bosnier ist nunmehr bereits seit mehr als 1.000 Spielminuten torlos, während Werner seine ebenfalls lang andauernde Durststrecke mit dem so wichtigen Anschlusstreffer beenden konnte.
Diese Aufholjagd, die wohl tatsächlich nur gelungen ist, weil das Team in der zweiten Halbzeit zusammengestanden ist, sollte mehr Mut machen als dass die erste Halbzeit Sorgen bereitet. Würde das Gesicht der ersten Hälfte unser Leistungsvermögen widerspiegeln, die Mannschaft zu mehr nicht imstande sein, könnten wir den Laden dicht machen und den Verein vom Spielbetrieb abmelden. Konkurrenzlos schlecht ist eher noch untertrieben.
Die zweite Hälfte dagegen offenbarte, dass durchaus Esprit in der Truppe steckt und was möglich ist, wenn sie ungehemmt nach vorne spielen kann. Eine solche Aufholjagd hat auch das Zeug zur Initialzündung in puncto Mannschaftsfindung. Das A&O, Armin Veh betont es seit er wieder hier ist, dass eine Mannschaft auf dem Platz steht, Spieler, die sich verstehen, die füreinander da sind und dadurch entstehende Probleme auch gemeinsam zu lösen versuchen. Eine solche Leistung wie in der zweiten Mannschaft könnte zusammen schweißen.
Da waren lange vermisste Anflüge von Kreativität, von Spielkultur, ja, sogar von Spielfreude zu sehen. Diese Positiva muss man aus diesem Spiel mitnehmen und weiter daran arbeiten, die Defensive zu stabilisieren. Vielleicht ist ja die Viererkette der zweiten Halbzeit ein Ansatz und ausbaufähig. Rüdiger scheint mir der Drucksituation derzeit nicht gewachsen zu sein, will zu viel und verhaspelt sich. Hlousek auf links finde ich aufgrund seiner Schnelligkeit eine Option. Natürlich hatte er einige leichte Ballverluste zu verzeichnen und stand so dem Platzhalter Sakai in nichts nach. Im Gegensatz zum Japaner aber, der schon lange im Formtief steckt, sehe ich bei Hlousek noch Luft nach oben, zudem ist er ein Linksfuß und kann durch seine schnellen Vorstöße zu einer Waffe werden.
Wie erwähnt, sehe ich es als positiv an, dass Veh viel ausprobiert, der VfB dadurch schwerer auszurechnen ist, sowohl der Gegner, als auch der Fan, weiß selten im Voraus, was er zu erwarten hat. Und das meine ich positiv, hat man doch in den letzten Jahren oft genug schon beim Blick auf die Mannschaftsaufstellung gewusst, was man zu erwarten hat, nämlich meist ein langweiliges und emotionsloses Ballgeschiebe und einen ereignisarmen Spielverlauf. Der neuen Konkurrenzsituation muss sich jetzt jeder stellen und jeder hat die Chance zu spielen oder in der Mannschaft zu bleiben, wenn der Trainer zufrieden war.
Das Spiel gegen Bayer Leverkusen war eine Achterbahn der Gefühle. Die Erwartungen waren sowieso klein gehalten, wurden dann aber nach nicht einmal zehn gespielten Minuten im Negativen übererfüllt. Man ist ja einiges an schlechten Darbietungen „gewöhnt“ und man sollte mit Superlativen vorsichtig sein, aber, zur Halbzeit war ich mir sicher, noch nie einen solch schlechten VfB gesehen zu haben. Wirklich noch nie! Ich kann mich an ein 0:4 gegen Bochum in grauer Vorzeit erinnern, auch ein 0:5 gegen Dortmund, bei dem ich die zweite Halbzeit in unserer altehrwürdigen Stadiongaststätte verfolgte. Zu jenen Zeiten hatte man aber wenigstens den Eindruck, es handele sich um einen gebrauchten Tag, an dem eben nichts geht und dass einige auf dem Platz standen, denen die Demütigung genau so an die Nieren ging wie einem selbst. Am Samstag aber war ich mit dem Latein am Ende, Endzeitstimmung schon in der Halbzeit, aber, ich bin natürlich geblieben, im Gegensatz zu Dutzenden um uns herum.
Wäre das Spiel so weiter gelaufen, hätte ich mir wenigstens um meine Gesundheit keine Gedanken machen brauchen. Emotionslos, fast gleichgültig und lediglich erschrocken über diese Nicht-Leistung kauerte ich in meinem Sitz.
Nach der Pause, auf den Spielverlauf bin ich ja bereits eingegangen, sah ich das 1:3, das wie aus dem Nichts fiel, noch relativ gefasst und maß ihm keinerlei Bedeutung zu, Ergebniskosmetik, mehr nicht.
Als Veh dann aber offensiv wechselte, man, im Gegensatz zur ersten Halbzeit, auch Zweikämpfe für sich entschied, auf einmal Willen und schnell vorgetragene Angriffe zu sehen waren, Freistöße herausholte, ab dieser Zeit war dann auch ich wieder richtig bei der Sache.
Als das 2:3 durch diesen satten Schuss von Florian Klein fiel, stieg der Puls und das Adrenalin schoss durch den Körper. Dann macht Harnik auch noch das 3:3 und der Kessel bebte auf einmal wie schon lange nicht mehr. Selbst in unseren Regionen erhoben sich die Dagebliebenen von den Sitzen und peitschten das Team weiter nach vorne, plötzlich saß keiner mehr.
Für Martin Harnik freute ich mich, dass er endlich wieder getroffen hat. Er hatte eine längere Schwächephase zu durchstehen und saß zuletzt nur auf der Bank. Ich mag ihn, weil er einer ist, dem ich es abnehme, dass er alles in die Waagschale wirft und sich stets den Allerwertesten aufreißt. Zudem ist er kein Spinner und mit beiden Beinen auf dem Boden, ein Profi, wie man ihn sich wünscht. Vielleicht gibt ihm das Tor Auftrieb, bringt er wieder mehr Sicherheit in sein Spiel. Vor seiner Herausnahme aus der Mannschaft wirkte er oft überhastet und verlor Bälle oder sie versprangen ihm, was man in dieser Häufigkeit eigentlich von ihm nicht gewohnt war. Dass ihn Veh für einige Zeit herausnahm war für mich absolut richtig und nachvollziehbar, vielleicht hat er sich ja jetzt wieder durch sein Tor und auch durch seine Präsenz wieder in die erste Elf gespielt. Dass er das Siegtor nicht gemacht hat, verzeihe ich ihm gerne. Mit diesem Punkt bin ich rundum zufrieden, wer hätte das gedacht!
Die nächste schwere Heimaufgabe wartet an Allerheiligen auf uns, wenn es gegen den VfL Wolfsburg geht. Erneut eine Betriebssportmannschaft, bei der Geld eher eine untergeordnete Rolle spielt, man hat es eben. Trotzdem, seit Allofs und Hecking das Sagen dort haben, wird das vorhandene Geld vernünftig eingesetzt und auch (endlich) Kapital aus der guten Jugendarbeit geschlagen. Ich schätze die Wölfe sehr stark ein und befürchte, dass für uns die Trauben hoch hängen dürften.
Umso wichtiger sind die kommenden Auswärtsaufgaben gegen Gegner, die sich mit uns auf Augenhöhe oder sogar darunter befinden. In Frankfurt bzw. in Bremen sollten einer oder am besten gleich zwei Auswärtssiege her, um endlich mal wieder in ruhigeres Fahrwasser zu steuern.
Veh auf der Kommandobrücke benötigt nach wie vor Zeit, der Mannschaft ein neues Lifting zu verpassen und fordert dafür zu Recht Geduld ein. Diese übt man am besten, wenn die Ergebnisse stimmen es gelingt, ein Polster zwischen sich und die Abstiegsplätze zu legen.
Unsere jungen Spieler wie Antonio Rüdiger und Timo Werner, auf die bereits jetzt einiges hereinbricht, dürften es erheblich einfacher haben, sich weiter zu entwickeln, wenn der Druck nicht ganz so groß ist. Bei Rüdiger fällt seine Nervosität natürlich mehr auf als bei Timo Werner. Rüdigers Fehler haben meist brenzlige Situationen bzw. Gegentore zur Folge, während sich Timo Werners Nervenschwäche „nur“ bemerkbar macht, wenn ihm am gegnerischen Strafraum ein Ball verspringt oder er im eins gegen eins nicht so abgezockt agiert, wie man es schon von ihm gesehen hat.
Daher wäre ein Dreier am kommenden Wochenende in Frankfurt Balsam auf die Seelen Aller, denen der VfB am Herzen liegt und immens wichtig. Frankfurt war in letzter Zeit oft ein gutes Pflaster für uns, außer in der letzten Saison, als man den Sieg kurz vor Schluss noch verspielte und Alexandru Maxim die 1.000%ige Chance zum 0:2 vergab.
Damals noch hieß der Eintracht-Trainer Armin Veh. Dieser hat jetzt zum Glück das Zepter beim VfB in der Hand und kennt den Gegner natürlich in- und auswendig. Wie ich ihn kenne, wird er bereits jetzt voller Vorfreude sein. Auf dem Kabinenfest fragte ich ihn, wie er die Fanunterstützung dort empfand, vor allem auf den Europacup-Reisen. Da begannen seine Augen zu funkeln und mehr als ein „einfach geil“ kam ihm nicht über die Lippen.
Neuer Trainer der Eintracht wurde bekanntlich Thomas Schaaf, den man bislang ja nur mit Werder Bremen in Verbindung brachte. Bislang lässt sich seine Mission dort gut an, mit einem Sieg gestern in Paderborn hätte die Eintracht auf Rang 3 vorstürmen können, so sind sie als Achter im gesicherten Mittelfeld. Einfach dürfte es also auf keinen Fall werden, aber, Samstag 15.30 Uhr, 5.000 Schwaben im Rücken, da muss einfach was gehen für unser Team. In Berlin durfte das Team ja bereits am ersten Auswärtssieg schnuppern, die 0:1-Führung wurde von der Hertha lediglich durch einen höchst fragwürdigen Elfmeter ausgeglichen. Bis dahin und auch wieder danach war man eigentlich auf einem guten Weg. Daher bin ich für Frankfurt guter Dinge und freue mich sehr drauf.
Es darf im Waldstadion ruhig ein bisschen weniger dramatisch zugehen als am Samstag, Hauptsache Sieg, wenn solche Spektakel aber zur Regel werden sollten, werden wir bald „zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“ auf den Eintrittskarten zu lesen bekommen!
20. Oktober 2014
Wie viel VfB verträgt Man(n)?
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