Am Tag eins nach der neuerlichen vergebenen Chance des Befreiungsschlags sitzt der Stachel noch tief, bin noch total geplättet und das nicht nur wegen der anstrengenden und vor allem heimwärts nicht enden wollenden Busfahrt.
Was ein Spiel, erst das Luftloch Niedermeiers, der Huntelaar sein erstes Tor noch knapp 1200 Minuten Flaute ermöglichte. Zu diesem Zeitpunkt rechnete ich schon mit einer Klatsche, wenn man einen taumelnden Gegner derart aufbaut. Dann kommt man zurück, feiner Pass von Ginczek in den Lauf von Martin Harnik und der mit einem gefühlvollen Lupfer über Fährmann hinweg zum bis dahin überraschenden Ausgleich. Nach der Pause dann gar die Führung, dieses Mal Kostic nach Ginczek-Pass, um das Spiel dann in den letzten 12 Minuten doch noch her zu schenken. Dieses Mal eine ganze Fehlerkette, Schwaab lässt Aogo flanken, Niedermeiers Kopfball-Abwehr geriet zu kurz und auch Ulle war einmal mehr nicht Herr seines Fünfmeterraums, so dass der völlig freistehende Huntelaar einschieben konnte. Zwei Minuten vor Schluss dann der so schmerzliche Knockout. Wieder entwischt Aogo Schwaab, Kevin-Prince Boateng, der in der laufenden Saison noch keinen Blumentopf traf, kam zum Schuss, Klein fälschte unglücklich ab und fertig war die sechzehnte (!) Saisonniederlage.
Durch die Ergebnisse der Konkurrenz mutet die Situation inzwischen dramatisch, wenn auch noch nicht völlig aussichtslos, an. Natürlich haben wir das vermeintlich leichteste Restprogramm aller Konkurrenten, natürlich sind theoretisch noch neun Punkte machbar, die mindestens für Platz 16 reichen sollten. Zusätzliche Brisanz erfährt dieser Abstiegskampf 2015 darin, dass es, im Gegensatz zur Vorsaison als die drei Schlusslichter allesamt ihre letzten fünf Partien verloren hatten, noch etliche direkte Duelle gibt, so dass sich fast jeder noch aus eigener Kraft retten kann. Wir, die auf dem letzten Platz festsitzen, können das freilich nicht mehr.
Die direkten Duelle werden den Abstiegskampf vermutlich entscheiden, irgendwann kommen dann auch Ergebnisse der Abstiegskandidaten gegen Mannschaften, für die es um nichts mehr geht, zustande, die es unter normalen Umständen nicht gäbe. So hat für mich der SC Freiburg gegen die Bayern noch nicht verloren, wenn sie nach dem Duell mit dem FC Barcelona mit einer B-Mannschaft antreten sollten. Letztendlich hilft nur hoffen, bangen, beten, um dem Abstieg noch zu entrinnen.
Was macht denn überhaupt noch Hoffnung?
- Es sind noch neun Punkte zu vergeben.
- Unsere Offensive setzt Glanzlichter, was Maxim, Kostic, Harnik und Ginczek zeitweise auf den Platz zaubern, ist nicht 2. Liga, im Gegenteil, das sieht schon nach gehobenem Bundesliganiveau aus.
- Wir haben jetzt zwei Heimspiele in Folge vor der Brust und damit immer noch die Gelegenheit uns in einen Lauf zu spielen.
- Die Fans, die bis zum letzten Atemzug zusammenstehen und ihr letztes Hemd für den Klassenverbleib geben würden.
- das schwere Programm des SC Paderborn und des SC Freiburg und die Tatsache, dass die Freiburger ihrerseits das Siegen ebenfalls verlernt zu haben scheinen. Auf der anderen Seite sind es eben auch zum Relegationsplatz, auf dem der SC Freiburg derzeit steht, quasi vier Punkte Rückstand, wenn man das Torverhältnis betrachtet. Hannover 96, mit dem Achtungserfolg des Punktgewinns beim VfL Wolfsburg im Gepäck, ist in der Rückrunde noch immer sieglos, sollten sie das bis zum Schluss bleiben, stünde ein sicherer Absteiger bereits fest.
- Dann wären da noch Phrasen wie „Totgesagte leben länger“, „Abgestiegen ist man erst, wenn rein rechnerisch nichts mehr geht“, „die Messe ist erst gelesen, wenn der letzte Pfiff ertönt“ und viele andere mehr.
Was gäbe Anlass zur Resignation?
- Die Statistik, der VfB spielt seine schlechteste Saison der Vereinshistorie, selbst im Abstiegsjahr 1974/1975 hatte man einen besseren Punkteschnitt. Seit Herbst 2013 hat der VfB keine zwei Siege in Folge mehr eingefahren. Diese Statistik kann kein Zufall sein sondern ist Zeugnis mangelnder Konstanz. Diese Serie MUSS jedoch gebrochen werden, möchte man in die Dramaturgie des Abstiegskampfes noch als einer der Hauptdarsteller eingreifen. Des Weiteren steht noch im Saisonzwischenzeugnis, dass wir von den 31 bisherigen Spielen gerade einmal sechs siegreich gestalten konnten, drei zu Hause, drei auswärts. Da fragt man sich dann schon, ob die Erwartung an drei Siege aus drei Spielen nicht zu hoch gegriffen ist.
- Die Abwehr! Fast zwei Gegentore im Schnitt pro Spiel, d. h. wir müssen schon mindestens drei Tore schießen, um ein Spiel gewinnen zu können. Anders als noch in der letzten Saison hat es Huub Stevens dieses Mal nicht geschafft, die Abwehr so zu stabilisieren, dass sie auch einmal ein 1:0 über die Zeit retten kann. Symptomatisch gestern wieder, als die komplette Viererkette, einschließlich Torwart, den Gegner zum Tore schießen einlud. Ob Schwaab, Baumgartl, Niedermeier oder Rüdiger, ob erfahren oder Greenhorn, unerklärliche Stockfehler, fehlende Übersicht, fehlende Frische im Kopf Situationen zu antizipieren, so dass es immer wieder vorkommt, dass des Gegners Torjäger „aus den Augen verloren“ wird und dieser dann leichtes Spiel hat. Da dieses Problem schon länger besteht und man es schon im Sommer versäumt hat, einen „Turm in der Schlacht“ zu verpflichten an dessen Seite ein Antonio Rüdiger oder Timo Baumgartl reifen und auf den sie sich verlassen könnten, gibt es wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich hier in den verbleibenden Spielen eine bisher nicht gekannte Stabilität einstellt.
- Kein Führungspersonal. Möchtegern-Führungsspieler wie Sven Ulreich, Georg Niedermeier und Christian Gentner haben nicht die Körpersprache und überzeugen erst recht nicht durch Leistung, um von den Anderen als „Chefs“ anerkannt zu werden. Führungsstärke zeigt eigentlich nur Serey Die, der mit Einsatz vorangeht, leider aber nicht alle Löcher stopfen kann, die sich so auftun.
- Wie bei den Hoffnungsschimmern ist auch hier das Restprogramm (der Konkurrenz) zu nennen. Direkte Duelle sorgen eben nicht nur dafür, dass sich die Konkurrenten die Punkte gegenseitig wegnehmen, sondern auch dafür, dass immer jemand der Konkurrenz punktet.
- In den letzten zwei Wochen haben wir drei Spiele leichtfertig her geschenkt, von neun möglichen Punkten gerade einmal einen geholt. Dann ist es klar, dass die Mitabstiegs-Kandidaten irgendwann selbst punkten und davon ziehen, wenn man selbst auf der Stelle tritt. Warum sollte sich das jetzt noch ändern? Es sieht einfach so aus, dass wir in Summe das schlechteste Team der Bundesliga haben und folgerichtig auf dem letzten Platz stehen. Augsburg hat in den letzten zwölf Spielen gerade einmal zwei Siege eingefahren, gegen Wolfsburg und gegen uns. Freiburg hat nunmehr fünf Spiele in Folge nicht gewinnen können, gegen uns schaffen sie es aber, nachdem sie bereits mausetot waren, aus einem 0:2 noch ein 2:2 zu machen. Schalke, zuletzt sechsmal sieglos, schafft gegen uns die Wende. In der gesamten Saison schafften die Königsblauen es lediglich gegen Paderborn ein Spiel nach Rückstand zu drehen, auch das gelingt gegen uns scheinbar mühelos. Und, großes Thema bei Königsblau, die „Lebensversicherung“ und Fast-VfBler (ich erinnere mich noch gut an Leogang, als wir nur noch auf Vollzug von Shopping-Hotte warteten…) Klaas-Jan Huntelaar, knapp 2000 Minuten ohne Tor, wird von Georg Niedermeier geradezu eingeladen, diesen Negativlauf zu beenden, Selbstvertrauen zu schöpfen, welches ihm wohl erst sein 2:2 und damit den Anfang unseres Endes ermöglichte. Wer derart Aufbauhilfe betreibt, fragt man sich, wie sich das Team dann erst gegen Gegner präsentieren soll, die frei von der Leber weg spielen können wie Mainz 05 und möglicherweise auch schon der HSV, bis wir auf ihn treffen, oder gegen ein Team, das nichts zu verlieren hat, jedoch um jeden Zentimeter kämpfen wird wie der SC Paderborn. Für mich ist keines der drei Spiele ein Selbstläufer und wenn doch, irgendeiner wird sich schon finden in dieser Truppe, der den Gegner zurück ins Spiel bringt.
- Es ist auffällig, dass der Mannschaft nach 70 Minuten sprichwörtlich die Luft ausgeht. Ob diese Tatsache auf konditionelle Schwächen zurückzuführen ist, was mir im Zusammenhang mit einer Profimannschaft schwer begreiflich wäre, oder die Mannschaft nicht in der Lage ist, die Konzentration über 90 Minuten auf hohem Level zu halten, sei dahingestellt. Auffällig auch, dass es zuletzt stets den Bach runter ging, nachdem Maxim und Kostic ausgewechselt wurden. Der Leistungsabfall ist dann schon frappierend, so dass es durchaus eine Überlegung wert wäre, auf diese Auswechslungen gegen Mainz gänzlich zu verzichten. Maxim und Kostic nehmen sich doch ohnehin während des Spiels ihre Kunstpausen, sind aber in der Schlussphase eines Spiels eher in der Lage für Entlastung zu sorgen, als es zuletzt Daniel Didavi und Timo Werner taten.
Bei nüchternem Gegenüberstellen der Fürs und Widers findet sich wahrlich nicht viel, an das man sich nach diesem beschissenen Wochenende noch klammern könnte. Es hilft aber nichts, wie die Mannschaft sollten auch wir Fans in der Woche die Köpfe wieder hochbekommen und zum Top-Spiel der Woche nächsten Samstag 18.30 Uhr Fußball-Deutschland zeigen, was der Liga fehlen würde, wenn es den VfB tatsächlich erwischen sollte. Die Unterstützung, auch gestern auf Schalke, ist nach wie vor phänomenal, leider gelingt es der Truppe nicht, daraus zusätzliche Kraft und Ansporn zu ziehen. Wir müssen weiter von Spiel zu denken und darauf hoffen, drei Spiele zu erleben, in denen die Kreativabteilung ihre Form beibehält und der Defensivverbund die Fehler minimiert. Schwer vorstellbar nach einer Saison, in der die Aha-Erlebnisse fast ausschließlich Fehler betrafen, die eigentlich nicht zu toppen gewesen wären, der VfB es aber dennoch immer wieder „schaffte“.
Sollte das schwere Spiel gegen Mainz tatsächlich gewonnen werden und die Ergebnisse der Konkurrenz entsprechend sein, könnte die Woche danach eine Eigendynamik entwickeln und eine Aufbruchsstimmung erzeugen, so dass der Glaube an das Wunder zurückkehren könnte.
Irgendwann, nach allem Rechnen, Debattieren, Sich Mut zusprechen, Zuversicht tanken, kommt man unweigerlich wieder auf die Mannschaft zu sprechen, die es richten muss und der zuletzt Zeit meist die Nerven versagten, wenn es darauf ankam. Huub Stevens und sein Team müssen wohl vor allem im mentalen Bereich ganze Arbeit leisten, um das Unmögliche noch möglich machen zu können.
Ich hoffe natürlich nach wie vor auf den Klassenerhalt, habe ihn auch noch nicht gänzlich abgeschrieben, aber, von nun an muss alles optimal laufen, darf sich das Team keinen Ausrutscher mehr erlauben.