Harmonisch wie lange nicht, schien es beim VfB zuzugehen. Everybody’s Darling Thomas Hitzlsperger, Meister-Torschütze von 2007, eloquent und smart ist Vorstandsvorsitzender! Sven Mislintat, das Diamantenauge, dem hoffnungsvolle Talente aus der ganzen Welt aus der Hand zu fressen scheinen und sich wider besseren Angeboten von renommierteren Vereinen für den VfB entscheiden. Dazu, der Präsident Claus Vogt, der es nach Jahren der Spaltung unter Wolfgang Dietrich geschafft hat, die Fangemeinde zu einen und ein, wie ich meine, guter Repräsentant des VfB Stuttgart 1893 e. V. ist. Zu all der guten Außendarstellung gesellt sich sportlicher Erfolg und ein Fußball, der einen bisweilen mit der Zunge schnalzen lässt.
Eigentlich zu schön, um wahr zu sein! Ist es ja auch nicht! Einen Tag vor Silvester wurde bekannt, dass der CEO der VfB Stuttgart AG, Thomas Hitzlsperger, neben dem Vorstandsvorsitz auch das Amt des e.V.-Präsidenten anstrebe und seine Bewerbung hierfür beim Vereinsbeirat eingereicht habe.
Seine Beweggründe erläuterte er gut eine (!) Stunde nach Bekanntwerden seiner Kandidatur in einem vierseitigen offenen Brief auf seiner Homepage.
Doch Moment, „Beweggründe“ wäre schmeichelhaft umschrieben für die Tiraden, die Hitzlsperger gegenüber dem von den Mitgliedern gewählten Claus Vogt ablässt. Die Quintessenz des Beitrags ist nicht, dass Hitzlsperger unbedingt Präsident werden möchte, sondern, dass er eine weitere Amtszeit Vogt’s verhindern möchte – koste es, was es wolle.
Mit diesem Affront gegen den Präsidenten geht Hitzlsperger All-In und nimmt bewusst in Kauf, dass es beim nun anstehenden Machtkampf nur Verlierer geben wird und der größte Verlierer dabei schon jetzt der VfB Stuttgart ist.
Waren wir drauf und dran zum Vorzeigeverein zu werden, sind spätestens seit dem 30.12. Witze über Schalke 04 und den Hamburger SV für VfBler wieder tabu. Mir erschließt sich nicht, dass ein derartiges Zerwürfnis nicht intern geklärt und die Reviere so abgesteckt werden können, dass ein bestellter Vorstandsvorsitzender neben einem gewählten Präsidenten fungiert, ohne dass man sich derart brachial in die Quere kommt.
Mit dieser Form der Generalabrechnung ist rein gar nichts mehr zu kitten. Von nun an kann es nur noch heißen, Hitzlsperger oder Vogt, beide gemeinsam scheint ausgeschlossen, genauso wie der Wunsch auf Ruhe im Verein, bis dieser Machtkampf entschieden ist.
Hitzlspergers Abrechnung, die ich fast schon als Mobbing bezeichnen würde, zielt auf Claus Vogt’s Arbeitsweise, die man als Außenstehender natürlich schlecht beurteilen kann. Welche Position Thomas Hitzlsperger während seines steilen Aufstiegs auch bekleidete, stets betonte er, dass er dazulernen und die richtigen Ratgeber um sich haben müsste.
Auch Vogt ist als Funktionär an der Spitze eines Bundesligisten Novize und lernt noch dazu. Seit gut einem Jahr, das durch Corona zudem maßgeblich erschwert wurde, ist Claus Vogt nun im Amt. Kann man in diesem relativ kurzen Zeitraum in einem Verein, der nach Kontinuität strebt, schon den Stab über jemanden brechen oder wäre nicht doch, durch guten Willen und die eine oder andere Hilfestellung, es möglich gewesen, eine gesunde Arbeitsatmosphäre zu schaffen? Gibt es „den“ gelernten Vereinspräsidenten überhaupt, der auf Anhieb alles richtig macht oder liegt es nicht in der Natur der Sache, dass ein aus der Mitte der Fans gewählter Präsident sich erst einmal einfinden und als von außen kommender in den bestehenden Inner Circle positionieren muss. Oder ist das Problem gar, dass dieser Präsident ausnahmsweise nicht vom Aufsichtsrat ausgesucht wurde?
Was hätte Hitzlsperger denn gemacht, wenn Vogt regulär für vier Jahre gewählt worden wäre? Ihn schon vorher aus dem Amt geputscht? Steht es dem Vorstandsvorsitzenden der AG überhaupt zu, so mit dem Präsidenten umzugehen, der gut 72.000 Mitglieder vertritt?
Hitzlsperger schreibt von „ dem gesamten Vorstand der AG und zahlreichen Gremienmitgliedern aus Präsidium, Aufsichtsrat und Vereinsbeirat sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, die mit Vogt Probleme hätten, womit klar zu werden scheint, dass seine Kandidatur nicht auf seinem alleinigen Mist gewachsen ist, sondern es sich um eine gezielte Kampagne weiterer Personen handelt, die das Ziel verfolgen, Vogt loszuwerden. Daran schließt sich unweigerlich die immer wiederkehrende Frage an, ob Hitzlsperger nicht doch auch nur eine Marionette der Vertreter des Anker-Investors ist.
Weil Claus Vogt’s Beliebtheitswerte bei den Mitgliedern auch der AG nicht verborgen geblieben sind und Volker Zeh („Es gibt Leute, die möchten, dass ich der neue Präsident werde!“), der seinen Hut in den Ring warf, schon aufgrund eines Fotos in Lederhose und seiner Nähe zu Red Bull wenig erfolgversprechend anmutet, musste die Alles-Oder-Nichts-Lösung mit dem (einst?) so beliebten Thomas Hitzlsperger her – wohl dem einzigen, dem es zugetraut wird, Vogt zu schlagen.
Es stellt sich die Frage, weshalb die AG Claus Vogt auf derart drastische Weise loswerden möchte. Der Einfluss des Präsidenten in der AG ist ohnehin überschaubar. Im Aufsichtsrat ist er, selbst als Aufsichtsratsvorsitzender, einer unter vielen. Wenn er dort seine Rechte und Pflichte wahrnimmt und millionenschwere Vertragsverlängerungen hinterfragt oder sich erklären lässt, wo ist das Problem? Dafür wurde er schließlich gewählt! Haben Hitzlsperger & Co. schon damit Probleme, ist es mit ihrem Demokratieverständnis nicht weit her!
Oder ist es die Angst, die die Gremien umtreibt? Angst vor der lückenlosen Aufklärung der Datenaffäre? Steigt Hitzlsperger in den Ring, um Kollegen oder gar sich selbst vor weitreichenden Konsequenzen zu bewahren? Bangen außer die in den Skandal mutmaßlich verstrickten Oliver Schraft und Uwe Fischer noch andere Leute um Posten und Reputation? Welche Rolle spielten die Aufsichtsräte Porth und Jenner, was wussten die Vorstände Heim, Röttgermann und nicht zuletzt Thomas Hitzlsperger? Bei den Geschützen, die aufgefahren wurden, würde mich nicht mehr verwundern, stünde uns das ganz große Beben noch bevor.
Meine erste Reaktion auf Hitzlspergers Abrechnung mit Vogt war, dass Claus Vogt erledigt sei und früher oder später seinen Hut nehmen müsste. Je länger ich den Offenen Brief aber sacken ließ, desto ungeheuerlicher und ungerechter Claus Vogt gegenüber empfand ich ihn, so dass ich mittlerweile hoffe, dass Hitzlsperger (und damit die AG?!) mit der Dampfhammermethode nicht durchkommt.
Hitzlspergers Vorwürfe sind meist schwammig formuliert und lassen Raum für Interpretationen, rechtfertigen für mich aber nicht die Schärfe, die Hitzlsperger da reingebracht hat. Wer A sagt, muss auch B sagen, sowohl die eine, als auch die andere Seite. Die Schlammschlacht ist eröffnet, bei halbgaren Formulierungen fällt es schwer, sich abschließend für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Daher geht es mir als erstes um den Umgang miteinander und hier ist Hitzlsperger für mich weit übers Ziel hinausgeschossen.
Claus Vogt ist erfolgreicher Unternehmer, Initiator des FC Playfair und in erster Linie Mensch, der einen derartigen Umgang mit ihm weder nötig noch verdient hat. Vermutlich blickt er auf eine längere Erfolgsgeschichte zurück, als es Hitzlsperger als Vorstandsvorsitzender einer Fußball-AG tut.
Hitzlsperger hat seit der Trennung von Reschke einen Abstieg (zu späte Trennung von Weinzierl) und den Fehlgriff mit Tim Walter zu verantworten, sowie den Aufstieg zu großen Teilen der Dummheit des HSV zu verdanken. Also reden wir von einem Hoch, das bislang vier Monate lang andauert und dessen Nachhaltigkeit erst noch unter Beweis zu stellen ist. Auch wenn ich zuletzt immer froh war, einen wie Hitzlsperger als DAS Gesicht des VfB zu haben, darf er sich nicht alles erlauben. Ich bin da flexibel und gewöhne mich auch an neue Gesichter.
Hitzlsperger wirft Vogt vor, Interna nach außen zu tragen, wo doch erste Berichte Mitte Dezember, die Vogts Arbeit diffamierten, von anderer Seite (AG?) an die BILD und weitere Medien lanciert wurden. Den Vorwurf Hitzlspergers, die Kosten der Ermittlungsarbeit Esecons würden aus dem Ruder laufen, entkräftete Vogt, dass diese zu einem großen Teil von einer Versicherung abgedeckt und zudem der AG bekannt gewesen seien. Außerdem erteilte laut Veröffentlichung auf vfb.de auch die AG einen Ermittlungsauftrag bei derselben Kanzlei, sicherlich nicht zu anderen Konditionen.
Claus Vogt berichtet in seiner Gegendarstellung des weiteren davon, dass von AG-Seite versucht wurde, den Auftrag an Esecon zu torpedieren, einzugrenzen und gar zu beenden, was ein ganz dicker Hund wäre.
Tarnen, tricksen, täuschen sei mit ihm (Vogt) nicht zu machen, was tief blicken lässt, wie groß die Panik im Roten Haus sein muss.
Ich persönlich habe ein großes Interesse an der Aufklärung des Datenskandals, weil ich im Rahmen der Ausgliederungsdebatte, wie die gesamte VfB-Blogger- und Ultrasszene, viel Hirnschmalz investiert habe, um vor Risiken einer Ausgliederung zu warnen, Alternativen aufzuzeigen und einen Gegenpol zur einseitigen Vereinspropoganda zu bieten.
Stellt sich nun heraus, dass zudem mit unlauteren Mitteln Mitglieder beeinflusst werden sollten und Verantwortliche heute noch im Amt und Würden sind, kann es nur heißen, weg mit ihnen, egal, welche Position sie derzeit bekleiden.
Aufklärung, Transparenz und damit womöglich verbunden ein Austrocknen des Sumpfes, der uns über zehn Jahre lang begleitet, stehen für mich über einer verzweifelten, erpresserisch herangetragenen Bitte um Rückkehr zur „Vernunft“. Wir haben uns oft genug blenden lassen, geändert hat sich bis heute grundlegend nichts, wie sich an der Dietrich-liken „Pistole auf die Brust“ jetzt wieder unschwer ablesen lässt.
Ich befürchte, Hitzlspergers Ausführungen waren nur der Beginn einer Kampagne, die den Mitgliedern einmal mehr suggerieren soll, wie gut es die Protagonisten doch mit dem VfB meinen und dass jeder, der das Vorhaben Hitzlsperger zum VfB-Präsidenten wählen zu lassen torpediert, automatisch „nein zum Erfolg“ sagt und den Verein (einmal mehr) in Schutt und Asche legen wolle.
Von solchen Drohgebärden sollten wir uns nicht ein weiteres Mal einschüchtern lassen.
Ich zitiere ja ungern Wolfgang Dietrich, aber, mit einigen Punkten seiner aus der Emotion verfassten Rücktrittserklärung hatte er sicher nicht unrecht. Dort heißt es u. a. „Ebenso wenig wie von denen, die sich schon seit langem an den gut gefüllten Töpfen unseres Vereins bedienen wollen…“ Und weiter „Der Vereinsführung und allen Gremien wünsche ich die Kraft und das wache Auge, nicht zuzulassen, dass Einzelne sich den VfB Stuttgart für ihre persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen zunutze machen.“ Diese Aussagen bieten viel Interpretationsspielraum und es dürfte klar sein, dass „denen“ und „Einzelne“ weiter ihr Unwesen treiben und Claus Vogt zum damaligen Zeitpunkt nicht gemeint gewesen sein kann.
Vogt geht auf „Weitere falsche Behauptungen und Unterstellungen, die „jetzt“ den Rahmen sprengen würden.“ nicht weiter ein. Mir liegt es fern, einseitig für Claus Vogt Partei ergreifen zu wollen, da ich vor kurzem noch beide mochte und optimistisch gewesen bin, die Parteien würden sich trotz der Zeitungsartikel noch zusammenraufen.
Nach der Schärfe, die Thomas Hitzlsperger reingebracht hat, scheint das Tischtuch endgültig zerschnitten zu sein. Eine weitere Zusammenarbeit unmöglich, der Wahlkampf, wenn er denn ein echter wird, hat begonnen.
Der Vereinsbeirat hätte es in der Hand, diesem unwürdigen Treiben ein Ende zu bereiten. Stimmen Hitzlspergers Ausführungen, Vogt habe auch Teile des Vereinsbeirats gegen sich aufgebracht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Vogt’s Kandidatur nicht zugelassen wird.
Oder der Vereinsbeirat lässt Hitzlspergers Kandidatur nicht zu, wofür weit mehr Gründe sprächen. Kann es im Interesse des Vereins sein, jeglichen Einfluss in der AG, der nach der Ausgliederung ohnehin sehr überschaubar geworden ist, auch noch einzubüßen. Welch Gegenpart zur AG soll der e. V. denn noch sein, wenn der CEO der AG darüber befindet, was das Beste für den e. V. sein soll?
Vogt formuliert die mögliche Konstellation mit Hitzlsperger als VfB-Präsident so, dass damit die Ausgliederung vollendet sei und man sich der lästigen Mitglieder endlich entledigt habe, für mich käme dieser Vorgang einer Feindlichen Übernahme gleich.
Der Aufsichtsrat könnte fast ausschließlich aus Sponsoren- und Investoren-Vertretern mit immer weniger VfB-Bezug bestehen, wenn der Vorstandsvorsitzende der AG als Vereinspräsident die Mitglieder des Aufsichtsrats entsendet oder zumindest vorschlägt. Hanebüchene Szenarien und Interessenkonflikte stünden uns bevor, die tunlichst vermieden werden sollten.
Vor nicht allzu langer Zeit schwadronierte man, die Zeiten von Oneman-Shows seien vorbei und jetzt will man eine solche durchdrücken? Mitglieder, seid wachsam!
Es gäbe noch mehr gute Gründe, die eine Zulassung Hitzlspergers zur Wahl verböten, die Entscheidung darüber obliegt aber dem Vereinsbeirat, der sich des öfteren schon der AG näher als den Mitgliedern zeigte und demnach, so meine Befürchtung, nach gutem Zureden, was alles über den VfB hereinbräche, würde Vogt Präsident bleiben, im Sinne der AG die „richtige“ Entscheidung treffen wird.
Einzige Möglichkeit glaubhaft zu bleiben (oder besser zu werden), Vertrauen in die Organe zurückzuerlangen und die Situation etwas zu befrieden, wäre meines Erachtens, die Auswahl der Präsidentschaftskandidaten so lang auszusetzen, bis der Datenskandal vollständig aufgeklärt ist und etwaige Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Ansonsten sieht sich auch der Vereinsbeirat Vorwürfen der Vertuschung und Mitgliedertäuschung ausgesetzt oder wird von der AG als Verbündeter der Revoluzzer hingestellt und für den Untergang des Abendlands verantwortlich gemacht. Eine Lose-Lose-Situation also, die man nicht unbedingt haben muss.
In diesem furchtbar vergifteten Klima möchte ich mir keine Mitgliederversammlung vorstellen, die wegen Corona digital stattfinden müsste. Höre ich im Zusammenhang mit dem VfB „digital“ sträuben sich mir die Nackenhaare. Der über allem schwelende Datenskandal, Berichte über nicht funktionierende Abstimmungsgeräte bei der Ausgliederungs-MV, sowie eine abrupt abgebrochene WLAN-Verbindung just in dem Moment, als die realistische Chance bestand, Wolfgang Dietrich abzuwählen, lassen den Verdacht zu, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Was Hitzlsperger bzw. sein Ghostwriter entweder nicht bedacht, oder völlig unterschätzt hat, ist, was sein Move mit den Fans macht. Entsetzen, zwei Lager und keiner spricht mehr von der tollen Mannschaft, die schon morgen gegen Leipzig wieder um Punkte kämpft.
Dabei sind die Fans, die einzige Konstante. Spieler, Trainer, Funktionäre kommen und gehen, der VfB bleibt! Deshalb, rafft Euch, es geht um den VfB und nicht um Personen!