6. Juli 2010

Keine Grenzen mehr

Und dann rollt noch ein Angriff auf das Tor der Argentinier zu. Direkt hat Per Mertesacker den Ball aus der Abwehr herausgespielt, Lukas Podolski treibt ihn nach vorne und spielt links herüber zu Mesut Özil. Der flankt sofort in den Strafraum hinein, über die Gegenspieler hinweg, dorthin, wo Miroslav Klose wartet. Volley schießt er ein, das Endergebnis steht fest und lautet tatsächlich: 4:0 für Deutschland. “Da stehst du dann auf dem Platz und denkst dir: unglaublich”, sagt der Kapitän Philipp Lahm hinterher und wiederholt: “Wirklich unglaublich.” Man hat der deutschen Mannschaft ja vieles zugetraut. Schon gegen Australien hat sie zum Auftakt der Weltmeisterschaft in Südafrika 4:0 gewonnen, und anschließend England im Achtelfinale mit 4:1 aus dem Weg geräumt. Glänzende Spiele hat sie gezeigt – und trotzdem ist das, was am Samstagnachmittag im Green-Point-Stadion von Kapstadt geschehen ist, viel mehr, als alle für möglich gehalten haben.

Wieder hat die DFB-Auswahl vier Tore erzielt, eines schöner als das andere. Und: sie hat einen Gegner besiegt, “der nicht Aserbaidschan hieß” (Lukas Podolski) sondern Argentinien und der mit seinen ganzen Superstars um Lionel Messi zu den großen WM-Favoriten gehörte. Nun ist es Deutschland, dem die Experten in der ganzen Welt zutrauen, am nächsten Sonntag in Johannesburg die WM-Trophäe in Empfang zu nehmen.

“Es war ein sehr, sehr großer Schritt, denn wir haben schon lange keinen großen Gegner mehr geschlagen”, sagt Philipp Lahm. Den Sieg im Achtelfinale zählt er nicht dazu, weil England “kein großer Gegner” sei. Und auch der Erfolg gegen Argentinien vor vier Jahren gelte nicht, weil dafür ein Elfmeterschießen notwendig gewesen sei. “Anschließend haben wir gegen Italien verloren und bei der EM vor zwei Jahren gegen Spanien und dabei nie so gespielt, wie wir es wollten”, sagt Lahm: “Deshalb war es jetzt für jeden Spieler unheimlich wichtig zu sehen, dass man auch solch einen Gegner schlagen kann.”

Maradona hat keinen Taktikplan

Es ist nicht allein der Sieg, der große Zuversicht auslöst – es ist vor allem die Art und Weise, wie er zustande kam. Von der ersten Minute an war Argentinien machtlos gegen das Spiel der DFB-Mannschaft. Die stolzen Südamerikaner wurden von den jungen Deutschen zurechtgelegt, auseinandergenommen, am Ende vorgeführt. Keinen Plan und keine Vorstellung hatten sie offenbar vom Spiel des Gegners. Allein auf die Offensivkraft seiner Stürmer setzte Diego Maradona – und musste dann tatenlos mitansehen, wie sie den Deutschen ein ums andere Mal in die Falle gingen.

Und so war es, wieder einmal, auch ein Sieg der Taktik. Im Gegensatz zu seinem Trainerkollegen hatte sich Joachim Löw intensiv mit der gegnerischen Spielweise auseinandergesetzt. Er habe gewusst, dass Argentinien “eine zweigeteilte Mannschaft” mit einer Offensiv- und eine Defensivabteilung sei: “So entstehen Lücken, wenn man mit Tempo kommt”, sagt Löw, der in dem mittlerweile 32-jährigen Verteidiger Gabriel Heinze die Schwachstelle ausgemacht hatte: “Ich habe meinen Jungs gesagt: ihr seid jünger, ihr seid schneller, ihr seid ausdauernder. Macht Druck, dann bekommen sie Probleme. Ein Heinze kann euch nicht folgen.”

Selbst Löw findet keinen Fehler

Löw neigt normalerweise nicht zum Überschwang, eifrig bemüht er sich immer, nach Fehlern zu suchen, auch wenn seine Mannschaft gewonnen hat. An diesem Tag jedoch muss auch er die Suche ergebnislos einstellen. Es gibt nichts zu kritisieren und zu bemängeln – es war, sagt er, “fantastisch”, “unvorstellbar”, “einfach toll”.

Noch nie hat man den Bundestrainer derart euphorisch erlebt – auch was die Beurteilung einzelner Spieler betrifft. Bastian Schweinsteiger etwa bescheinigt er “eine grandiose Leistung”, der Mittelfeldspieler habe “in jeder Beziehung herausragend” gespielt: “Wie er die Mannschaft geführt und das zweite Tor vorbereitet hat – besser kann man es nicht machen.”

Tatsächlich war es eine Weltklassevorstellung, die Schweinsteiger bot. Er ist der bislang überzeugendste Mittelfeldspieler dieser Weltmeisterschaft – und hat nun die Gelegenheit, sich mit dem Besten der vergangenen Jahre zu messen: mit Xavi, dem famosen Spielmacher der Spanier.

Das Halbfinale am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) in Durban ist die Neuauflage des EM-Endspiels vor zwei Jahren. 0:1 unterlag die deutsche Mannschaft damals und war chancenlos. Auch wegen dieser Erfahrung leitete Löw den großen Umbruch ein. Die Spielweise der Spanier, das Kurzpassspiel und der Tempofußball, wurde zum Vorbild für die DFB-Auswahl, die sich nun anschickt, das Original zu überholen.

“Es ist wichtig, dass wir jetzt emotional nicht überdrehen”, sagt Löw und will einen Plan finden, wie auch Spanien zu bezwingen ist. Aussichtslos erscheint dies keineswegs. Denn sicher ist spätestens seit dem 4:0 gegen Argentinien: für das deutsche Team gibt es keine Grenzen mehr.

(STZ online)

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29. Juni 2010

Der Meister des Umbruchs

Irgendwann stößt die von Bundestrainer Joachim Löw beschworene Hochgeschwindigkeitstaktik auch an ihre Grenzen. Zwischen Tür und Angel schickte sein Spieler Thomas Müller während eines Fernsehinterviews bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika einfach mal Grüße an die Großeltern nach Deutschland – so viel Zeit muss sein. Was aber nichts daran ändert, dass der 20 Jahre alte Müller, der beim 4:1-Achtelfinalsieg über England gleich zweimal traf, das personifizierte deutsche Spielsystem darstellt: schnell, frech und unberechenbar.

Spätestens seit dem Viertelfinaleinzug staunt die Fußballwelt über die deutsche Mannschaft – allerdings weniger über die Tatsache, dass die DFB-Elf die Runde der letzten Acht erreicht hat, sondern über das mitreißende Wie. Dabei ist es lediglich eine Überraschung, dass die jüngste deutsche WM-Mannschaft aller Zeiten ihr Potenzial bereits in Südafrika voll ausschöpft und nicht – wie frühestens erwartet – bei der Europameisterschaft in zwei Jahren. Der von Löw verordnete Tempofußball scheint auch die Entwicklung der jungen Spieler ungemein zu beschleunigen.

Vorbild für einen geglückten Umbruch

Die Geburt des neuen deutschen Fußballs findet aber nicht zur Stunde in Südafrika statt, sie liegt bereits zwei Jahre zurück. Joachim Löw hat aus der EM und dem gegen Spanien verlorenen Finale das richtige Fazit gezogen: So geht es nicht weiter. Während seine Vorgänger nach einer Endspielteilnahme keinerlei Grund gesehen hatten, etwas zu ändern, machte Löw einen personellen und taktischen Schnitt und schob so den oft praktizierten Schlafwagenfußball aufs Abstellgleis. Fortan orientierte er sich am Europameister Spanien, der mit einem jungen, schnellen und kombinationssicheren Team den Titel geholt hatte.

2008 hat der Bundestrainer den notwendigen Positionswechsel verordnet, den er bereits ein paar Jahre zuvor als Assistent und Klinsmann-Flüsterer dezent in die Wege geleitet hatte. Aus dem oberlehrerhaft daherkommenden Fußball-Deutschland wurde so ein lernwilliger Schüler. Im Moment ist die Nationalmannschaft dabei, dieser Rolle auch schon wieder zu entwachsen. Schließlich sehen viele andere Länder in der DFB-Auswahl bereits das Vorbild für einen geglückten Umbruch.

Vor allem in den einstigen europäischen Vorzeigeländern Italien und Frankreich dürfte das jetzt viel zitierte “Neue Deutschland” auf große Beachtung stoßen. Schließlich erleben der noch amtierende Weltmeister und der Vizeweltmeister gerade die fußballerische Stunde null. Beide Teams stellen nach dem Vorrunden-Aus nur noch Trümmerhaufen dar – weil ihre Trainer Marcello Lippi und Raymond Domenech zu lange an satten Stars festgehalten haben.

Matthias Sammer steht schon lange als Löws Nachfolger bereit

Doch auch das deutsche Nationalteam steht vor einer ungewissen Zukunft, nachdem noch nicht klar ist, ob Joachim Löw über die Weltmeisterschaft hinaus im Amt bleibt. Mittlerweile würde der DFB-Chef Theo Zwanziger viel dafür tun, den Bundestrainer zum Weitermachen zu bewegen. Das war vor der WM nicht unbedingt der Fall, nachdem eine vorzeitige Vertragsverlängerung auch an Indiskretionen aus Verbandskreisen gescheitert war.

Erschwerend kommt hinzu, dass der aussichtsreichste Kandidat für die potenzielle Löw-Nachfolge nicht überzeugend ist. Der DFB-Sportdirektor Matthias Sammer steht schon lange bereit. Doch seine Ernennung zum Bundestrainer würde einen Rückschritt bedeuten. Sammers Philosophie basiert auf den altdeutschen Fußballtugenden Kampf, Einsatz und Wille. Diese Merkmale sind im Spitzenbereich mittlerweile aber lediglich noch Grundvoraussetzungen. Fast wünschte man sich deshalb, der deutsche Höhenflug würde nicht ganz so weit führen. Zum einen sähe Löw seine Mission dann noch nicht als abgeschlossen an, zum anderen schleichen sich auf höchstem Niveau oft gravierende Fehler ein – wie die Beispiele Frankreich und Italien zeigen.

(STZ online)

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15. Juni 2010

Zwanziger lobt den Bundestrainer und will ihn halten

Löw: “Wir müssen vor Serbien höllisch aufpassen”

Im deutschen Lager herrschte nach dem 4:0-Auftaktsieg gegen Australien wie erwartet generelle Zufriedenheit. Vor allem DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger, der im deutschen Mannschaftsquartier zu Gast war, lobte das deutsche Team und speziell Joachim Löw in den höchsten Tönen. Ob der Bundestrainer seine Zukunft weiter beim DFB sieht, blieb indes offen. Er hat nun erstmal das Spiel gegen Serbien im Kopf.

Erst nach 3 Uhr Ortszeit erreichte der DFB-Tross das WM-Quartier, die Nachtruhe dauerte bis 10 Uhr. Somit findet am Nachmittag nur eine leichte Fitnesseinheit im Hotel statt. Löw erklärte in der Pressekonferenz, dass nach dem geglückten Einstieg in die WM eine “erleichterte Atmosphäre” herrsche. Zugleich aber warnte er vor dem nächsten Gruppengegner Serbien, der sein erstes Spiel gegen Ghana mit 0:1 verlor. “Die Serben können ein Spiel dominieren und sie müssen gewinnen. Wir müssen also höllisch aufpassen”, gab er die Marschroute für die Partie am kommenden Freitag (13.30 Uhr) aus.

Dann sollen auch wieder die im Vorfeld der WM viel gescholteten Miroslav Klose und Lukas Podolski treffen. Löw stärkte dem Duo erneut den Rücken. “Die Diskussion über Klose und Podolski habe ich nie geführt. Ich war schon immer von ihren Qualitäten überzeugt. Sie passen in die Philosophie von mir.” Die Kritik an Podolski brachte Löw sogar ein wenig auf die Palme. “Warum über Podolski diskutiert wird, dafür fehlt mir jegliches Verständnis”, erklärte der Bundestrainer erzürnt. Dessen Pendant Klose, Torschütze zum 2:0, hatte sich die Kritik der vergangenen Wochen offensichtlich nicht allzu sehr zu Herzen genommen. “Ich zweifele nie an mir, und das wird auch nie so sein. Ich sehe es als eine Stärke von mir an, mich auf den Punkt zu konzentrieren.”

DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger hatte am Sonntag eine generell starke Mannschaft gesehen, er bedankte sich beim DFB-Team für den starken Auftrit gegen Australien. Er habe “spielerisches Können” und “Leidenschaft” gesehen. Eine wahre Lobeshymne sang er auf Joachim Löw und seine Assistenten. “Das Team hat in seiner Gesamtheit den deutschen Fußball weitergebracht. Der DFB weiß, was er an Löw hat.” Klar, dass nun die Frage nach der Vertragsverlängerung im Raum stand. “Wir werden sprechen, dann wird sich zeigen, ob man zusammenkommt. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt”, so Zwanziger.

Löw ließ sich indes keine Aussagen zu diesem Thema entlocken. “Ich habe im Moment andere Dinge im Kopf. Ich will mich zu hundert Prozent auf die WM konzentrieren.”

(kicker.de 14.6.10)

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