7. Juli 2010
Deutschland kämpft gegen Spanien um den Einzug ins WM-Finale und kann sich gleichzeitig für das verlorene EM-Finale 2008 revanchieren. Die Spanier haben das beste Mittelfeld der Welt, ihren Kaiser in der Abwehr und einen Heiligen im Tor.
Manuel Neuer vs. Iker Casillas
Wo Casillas schon ist, will Neuer hin. Casillas gehört zu den drei besten Torhütern des Planeten. Trotzdem stand er schon vor der WM etwas in der Kritik und leistete sich zu Beginn des Turniers einige Unsicherheiten (SPOX-Durchschnitts-Note 3,2). Machte mehr Schlagzeilen wegen seiner Beziehung zur Chefinterviewerin eines spanischen Privatsenders, Sara Carbonero, als wegen sportlicher Heldentaten. Zeigte aber gegen Paraguay mit einem gehaltenen Elfmeter und einer starken Rettungstat kurz vor Schluss gegen Santa Cruz, warum sie ihn in Spanien “San Iker” (Heiliger Iker) nennen. Trotz seiner durchwachsenen WM hat Spanien erst zwei Gegentore kassiert. Ebenso wenige wie die deutsche Mannschaft. Neuer spielt – vom Fehler gegen England abgesehen – ein starkes Turnier und machte auch gegen Argentinien einen sehr sicheren Eindruck.
Per Mertesacker/Arne Friedrich vs. Fernando Torres
Mertesacker kommt pünktlich zum Endspurt in Form und ruft von Spiel zu Spiel bessere Leistungen ab. Gegen Argentinien umsichtig im Stellungsspiel und souverän im Zweikampf. Bei Friedrich hat man sich an diese Eigenschaften in den letzten Wochen ohnehin gewohnt. Erzielte gegen Argentinien im 77. Länderspiel sogar sein erstes Tor. Und wer gegen Argentiniens Traumsturm so gut wie keine Chance zulässt, muss sich auch vor Torres nicht fürchten – zumindest vor dem aktuellen Torres (SPOX-Note 4,6).
El Nino ist nach zwei Meniskusoperationen in diesem Jahr außer Form, ihm fehlen Schnelligkeit, Durchsetzungsvermögen und Abschlussstärke. Alles Attribute, die ihn zum Siegtorschützen des EM-Finals 2008 machten. Trotzdem hielt Trainer Vicente Del Bosque an ihm fest. Könnte im Halbfinale aber zugunsten eines weiteren Mittelfeldspielers geopfert werden. Dann würde David Villa ins Sturmzentrum rücken. Eine ungleich größere Herausforderung für das deutsche Abwehrduo.
P. Lahm/P. Trochowski oder T. Kroos vs. J. Capdevila/D. Villa
Zum zweiten Mal muss Joachim Löw seine Offensive umbauen. Nachdem Miroslav Klose beim abschließenden Gruppenspiel gesperrt fehlte, muss nun der überragende Thomas Müller zuschauen. Als erster Ersatzmann fühlt sich wohl Trochowski, der noch in den Vorbereitungsspielen gegen Malta, Ungarn und Bosnien-Herzegowina in der Startelf stand. Aber: Er fühlt sich auf rechts überhaupt nicht wohl, fiel da schon in der Bundesliga beim HSV durch.
Auch Kroos ist auf links beheimatet und hat auf rechts so gut wie keine Erfahrung. Egal wer aufläuft, das deutsche Spiel wird ohne Müller ein anderes sein. Trochowski und Kroos wollen den Ball lieber in den Fuß als in die Tiefe, im Vergleich zu Müller fehlt es ihnen an Geschwindigkeit und Zug zum Tor.
Das kommt Capdevila (SPOX-Note 3,4) zugute. Der 32-Jährige ist das kleinste Licht im spanischen Starensemble und nicht mehr der Allerschnellste. Noch mehr als in den letzten Spielen wird es auf Lahm ankommen, seinen Vordermann zu unterstützen und so Überzahl zu schaffen. Denn Villa, der als zweite Spitze einen verkappten Linksaußen gibt, lässt Capdevila in der Defensive oft allein. Der Außenverteidiger muss dann von einem Mittelfeldspieler unterstützt werden, was Räume im Zentrum öffnet.
Villa darf sich diesen Luxus erlauben, um Kräfte für sein Offensivspiel zu schonen und bei Ballgewinn als Anspielstation zu dienen. Sobald “el guaje” (der Bursche) Platz hat, ist er kaum noch zu bremsen. Er ist schnell, dribbelstark und sicher im Abschluss. Lahm ist allerdings für seine Stärke im Eins-gegen-eins bekannt und passt auch körperlich hervorragend zu Villa (SPOX-Note 2,6).
Mit seiner wuseligen Art wäre er für Mertesacker und Friedrich im Zentrum schwieriger zu verteidigen. Villa erzielte fünf der sechs spanischen WM-Treffer und schickt sich an, als erster Spieler nach Gerd Müller (1970, 1972) bei zwei aufeinanderfolgenden Welt- und Europameisterschaften Torschützenkönig zu werden. Ist einer von diesen “mehreren Messis”, die Löw bei den Spaniern geortet hat.
Jerome Boateng/Lukas Podolski vs. Sergio Ramos
Zahlenmäßig ein deutliches Mismatch. Ramos (SPOX-Note 3,4) wird wegen seiner Frisur und dem dazugehörigen Stirnband auch Tarzan genannt. Da Spanien – anders als bei der EM 2008 – ohne echte offensive Flügelspieler agiert, dafür aber vier zentrale Mittelfeldspieler aufbietet, ist Ramos auf seiner rechten Seite eine Art Einzelkämpfer. Iniesta, der auf dem Papier auf rechts vorgesehen ist, treibt sich vielmehr im Zentrum vor, hinter und neben Xavi herum.
Also ist es an Ramos, über die Seite Druck nach vorne zu entwickeln. Auch wenn er seine dynamischen, manchmal aber auch blindlings vorgetragenen Vorstöße etwas gezügelt hat, bietet seine nach vorne ausgerichtete Spielweise Lücken, die für Podolski zu gern gesehenen Einladungen werden könnten. In der Defensive ein knallharter und kompromissloser Zweikämpfer. Trägt nicht umsonst den Spitznamen Sergio Rambo. Gehört sicher nicht zu Spaniens Messis. Bei Standards als wuchtiger Kopfballspieler immer gefährlich.
Sollte sich Del Bosque aber doch dazu entscheiden, auf Torres zu verzichten und einen weiteren Mittelfeldspieler zu bringen, würde die Entscheidung wohl zwischen David Silva und Pedro fallen. Beide sind klassische Außenspieler und könnten mit ihrer Dribbelstärke und Geschwindigkeit Druck auf Boateng ausüben. Der offenbarte sowohl gegen Ghana als auch gegen England und Argentinien Schwächen im Eins-gegen-eins.
Bastian Schweinsteiger/Sami Khedira vs. Xavi/Andres Iniesta
Die nächsten Messis der Spanier. Xavi und Iniesta sind Herz und Hirn des FC Barcelona und auch der Nationalmannschaft. Xavi (SPOX-Note 3,0) bestimmt Rhythmus und Geschwindigkeit des Spiels und ist bisher der laufstärkste Spieler der Spanier (52,9 km). Iniesta (SPOX-Note 2,5) ist der Umschaltkasten des spanischen Spiels. Iniestas Ex-Trainer Frank Rijkaard sagte einmal, dass er Pässe wie Bonbons verteilt. Er erhöht das Tempo und leitet den Ball Richtung Tor. So leitete der 26-Jährige auch die Treffer gegen Portugal und Paraguay ein.
Um Spaniens Passkreisel zu stoppen, muss man Xavi und Iniesta so weit wie möglich aus dem Spiel nehmen. Schweinsteiger ist bisher der beste Mittelfeldspieler des Turniers und genauso wie Khedira noch knapp vier Kilometer mehr gelaufen als Xavi. Es ist die Aufgabe des Mittelfeldduos, die Passwege der Spanier zuzustellen und Druck auf die spanischen Strategen auszuüben. Khedira hat seine Rolle im Laufe des Turniers gefunden und seine Vorstöße reduziert. Auch gegen Spanien wird er zuerst in der Defensive gefordert sein, um Schweinsteiger den Rücken freizuhalten, damit dieser seine Fähigkeiten in der Spieleröffnung ausspielen kann.
Mesut Özil vs. Xabi Alonso/Sergi Busquets
Özil war gegen Argentinien nicht ganz so brillant wie gegen England, war für die Albiceleste in vielen Fällen trotzdem zu schnell. Allerdings hatten beide Mannschaften nur einen echten defensiven Mittelfeldspieler auf dem Platz. Gegen Spanien muss sich Özil mit zwei Defensiven auseinandersetzen, wobei Barca-Spieler Busquets (SPOX-Note 3,0) den etwas defensiveren Part ausfüllt. Der 21-Jährige ist eine Mischung aus seinem Kollegen Xavi und seinem Klubtrainer Pep Guardiola. Busquets ist extrem ballsicher, elegant im Aufbauspiel und mit einem guten Gespür für den Raum ausgestattet. Allerdings fehlt ihm im Vergleich zu Özil die Spritzigkeit. Xabi Alonso (SPOX-Note 3,4) ist der Spielmacher von hinten heraus, der sich je nach Bedarf nach vorne schiebt oder zurückfallen lässt. Nur Xavi hat bei der WM mehr Pässe gespielt als der Mittelfeldstratege von Real Madrid. Özil muss gegen Spanien mehr mit nach hinten arbeiten als in den Spielen zuvor, damit Schweinsteiger und Khedira gegen Xavi, Iniesta und Xabi Alonso nicht in Unterzahl geraten.
Miroslav Klose vs. Carles Puyol/Gerard Pique
Während Villa noch auf Müllers Fersen ist, hat Klose den Bomber mit 14 WM-Toren schon eingeholt. Einen Treffer braucht Klose noch, um sich neben Ronaldo zum besten WM-Torschützen aller Zeiten zu machen. Puyol und Pique sind aber das qualitativ beste Verteidigerduo, mit dem es die deutsche Elf bisher zu tun hatte. Die Barca-Verteidiger kennen sich aus dem Verein bestens, sind daher sehr gut abgestimmt und ergänzen sich ideal.
Puyol (SPOX-Note 3,2) ist der robuste Zweikämpfer und Zerstörer. Der Zahn der Zeit hat aber auch am mittlerweile 32-Jährigen genagt. Schon in der abgelaufenen Saison ließ er die gewohnte Souveränität und die nötige Schnelligkeit oft vermissen. Der gleichaltrige Klose ist noch deutlich spritziger.
Pique (SPOX-Note 2,8) ist der elegantere Abwehrspieler. Er kann die meisten Situationen spielerisch lösen und ist extrem abgeklärt. Spielt sehr gute Bälle in der Spieleröffnung, geht auch gerne selbst mit Tempo tief in die gegnerische Hälfte und wird wegen seiner Spielweise in Anlehnung an Franz Beckenbauer auch Piquenbauer genannt. Verschuldete gegen Paraguay durch ungewohnt plumpes Abwehrverhalten aber einen Elfmeter. Auch das lässt Klose vom Rekord träumen.
(spox.com)
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2. Juli 2010
Sticheln, Reizen, Brust raus: Beim Countdown für die WM-Kraftprobe mit Argentinien zeigen sich die deutschen Kicker weiter kampfeslustig. Wie Toreros einen wilden Stier, so versuchen Kapitän Philipp Lahm & Co. die als heißblütig bekannten “Gauchos” vor dem Viertelfinal-Knüller zu provozieren. “Wir wissen, dass die Südamerikaner sich sehr impulsiv und temperamentvoll verhalten und nicht wirklich verlieren können. Ich hoffe, dass wir am Samstag erleben, wie sie diesmal mit der Niederlage umgehen”, tönte Lahm am Donnerstag in Anspielung auf die Tumulte nach dem deutschen Sieg nach Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale vor vier Jahren in Berlin.
Einen Tag nach den Attacken von Bastian Schweinsteiger, der den Argentiniern allgemein einen Hang zur Provokation unterstellt hatte, legte Oliver Bierhoff im DFB-Quartier in Erasmia nach. “Die Argentinier sind herzliche, gesellige, freundliche Menschen – aber wenn es auf den Platz geht, vergessen sie dies. Es gibt immer Diskussionen und Provokationen”, sagte der Teammanager und nannte als Konsequenz für die mit Spannung erwartete Partie am Samstag (16 Uhr/ZDF und Sky) in Kapstadt: “Wir sollten kühlen Kopf bewahren.”
Argentinien-Coach Diego Maradona konterte im Psycho-Spielchen mit der Aussage, “wir werden Deutschland attackieren, gewinnen und das ist es, was Schweinsteiger nervös macht”. Da irre Maradona, entgegnete Bierhoff postwendend: “Wir sind nicht nervös, auch Bastian nicht.” Der Manager bewertete Schweinsteigers Aussagen “als nicht so brisant” und schloss an: “Es war sicherlich nicht seine Absicht, hier etwas anzuheizen.”
“Die Argentinier werden mit viel Leidenschaft ins Spiel gehen”
Tatsächlich brennt die Luft. “Es wird sicher ein hartes Spiel”, sagte Miroslav Klose, der sein 100. Länderspiel bestreitet. Die Fifa nominierte als Schiedsrichter den erst 32 Jahre alten Usbeken Rawschan Irmatow, der zwar unerfahren ist, aber bislang in Südafrika überzeugend pfiff. Man kenne “die Spielchen” der Argentinier, sagte auch Arne Friedrich: “Wir werden uns gut vorbereiten.”
Die “richtige Antwort” könne “man immer mit Toren und einem Sieg geben”, empfahl Klose. “Man muss ja nicht gleich zuschlagen, um zu zeigen, dass man sich nichts gefallen lässt”, meinte Youngster Thomas Müller gewohnt kess. Friedrich prophezeite: “Die Argentinier werden mit viel Leidenschaft ins Spiel gehen. Carlos Tevez hat ja gesagt, er will eine Revanche.”
Vor vier Jahren in Berlin legte Friedrich eben diesen Tevez an die Kette. Doch bei der Neuauflage steht Maradona noch mehr Angriffswucht zur Verfügung. “Higuain macht viele Tore, Messi und Tevez sind gut drauf. Alle Offensivleute sind bärenstark”, warnte Innenverteidiger Friedrich. “Wir wissen, was zu tun ist”, sagte Lahm forsch: “Wir müssen als Mannschaft agieren. Und jeder muss seine Leistung bringen.” Lahm war froh, dass man schon am Donnerstag nach Kapstadt reiste: “Man freut sich, dass es endlich losgeht. Die Anspannung ist da. Wir sind alle topfit.”
Das soll auch für Lukas Podolski und Mesut Özil gelten, obwohl beide Offensivkräfte zwei Tage vor dem Spiel beim Training fehlten. Bundestrainer Joachim Löw sieht aber “keine Gefahr” für ihren Einsatz, wie Bierhoff übermittelte. Podolski plagen muskuläre Probleme, Laufwunder Özil sollte regenerieren. “Es ist im fortgeschrittenen Turnier besser, jetzt mal eine Trainingseinheit auszusetzen als etwas zu riskieren”, erläuterte Bierhoff. Nur Top-Joker Cacau fällt wegen seiner Bauchmuskelzerrung sicher aus.
Der Respekt vor Lionel Messi & Co. ist groß
Lahm erklärte das Viertelfinale zur ersten echten Titelprüfung. “Es gehört zur Entwicklung einer Mannschaft, dass wir einen richtig großen Gegner schlagen können”, sagte der Kapitän und fügte nur vier Tage nach dem international gefeierten 4:1 gegen England überraschend hinzu: “Es ist schon lange her, dass wir einen Großen geschlagen haben.” Für Lahm sind der mögliche Endspielgegner Brasilien, der programmierte Halbfinal-Kontrahent Spanien und die Argentinier heiße Titelkandidaten und deswegen “größere Gegner als die Engländer”.
Bei aller Stichelei, der Respekt vor Lionel Messi & Co. ist groß. “Wir haben weniger Fehler als bei den Engländern entdeckt”, verriet Bierhoff nach intensiven Video-Sitzungen. Chefscout Urs Siegenthaler nannte die Argentinier “einen überragenden Gegner”. Aber man habe ein Konzept entworfen, um auch einen Weltstar wie Messi in den Griff zu bekommen, versicherte Siegenthaler: “Das Team und der Trainer haben Wege.” Bierhoff setzt auf Teamgeist und Erfolgshunger: “Die Mannschaft ist noch enger zusammengerückt. Und sie weiß, der Weg ist noch lang. Die Spieler glauben nicht, dass schon etwas erreicht ist.”
Dem verbalen Anheizer Schweinsteiger kommt in Löws Konzept wieder eine Schlüsselrolle zu. “Er gibt dem Spiel viel Symmetrie, Ordnung und Struktur”, betonte der Bundestrainer. Löw erwartet ein “enges Spiel” und verlangt höchste Konzentration: “Argentinien versteht es, den Gegner in Sicherheit zu wiegen und dann zuzuschlagen. Man darf sich nicht viele Fehler erlauben.”
Die voraussichtliche deutsche Aufstellung:
Neuer – Lahm, Mertesacker, Friedrich, Boateng – Khedira, Schweinsteiger – Müller, Özil, Podolski – Klose.
(STZ online)
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28. Juni 2010
Deutschland setzte sich im Klassiker gegen England eindrucksvoll mit 4:1 durch und setzte damit ein ganz dickes Ausrufezeichen. Wieder einmal war es ein geschichtsträchtiges Spiel, in dem Klose mit der brasilianischen Fußball-Legende Pele gleichzog, England erstmalig vier Tore gegen Deutschland kassierte, aber auch vom Schiedsrichter benachteiligt wurde – außerdem spielte sich Thomas Müller bei der Gala-Vorstellung ins Rampenlicht.
Bundestrainer Joachim Löw brachte Klose, der beim 1:0 gegen Ghana Gelb-Rot-gesperrt gefehlt hatte, wieder von Beginn an. Cacau musste wegen einer Bauchmuskelzerrung passen. Die angeschlagenen Schweinsteiger (muskuläre Probleme) und Boateng (Wade) wurden rechtzeitig fit. Englands Coach Fabio Capello hingegen setzte auf exakt dieselbe Elf, die 1:0 gegen Slowenien gewonnen hatte.
Der gegenseitige Respekt war beiden Mannschaften von Beginn an anzumerken. So tasteten sich die Kontrahenten in der ersten Viertelstunde weitestgehend ab und waren hauptsächlich auf Fehlervermeidung bedacht. Das aktivere und spielerisch bessere Team war dabei die DFB-Auswahl. Allerdings fehlte es den Löw-Schützlingen zunächst an Zug zum Tor, so dass Özils Chance vom rechten Fünfereck, die James in der vierten Minute parierte, lange Zeit die einzige ernsthafte Möglichkeit des dreifachen Weltmeisters war.
Doch auch von den Engländern, die stark über die Physis kamen und in den Zweikämpfen sehr präsent waren, kam offensiv kaum etwas. Dies lag vor allem an zahlreichen Fehlpässen und ideenlosen Angriffsversuchen. Meist ging es durch die Mitte, während über die Außen nahezu nichts kam. In der 20. Minute leitete schließlich ein präziser Abstoß von Neuer die Führung ein: Der Ball landete bei Klose, der in seinem 99. Länderspieleinsatz Upson abschüttelte und aus zehn Metern ins rechte untere Eck einnetzte (20.). Der Bayern-Stürmer stand beim Zuspiel zwar im Abseits, allerdings existiert dieses laut Reglement bei Abstoß, Ecke und Einwurf nicht. Folglich gab an seinem 50. Länderspieltreffer und seinem 12. WM-Tor nichts zu mäkeln. Zugleich zog Klose damit in der ewigen Torjägerliste bei Weltmeisterschaften mit Brasiliens Fußball-Legende Pele nach Treffern gleich.
Die “Three Lions” reagierten rasch und intensivierten ihre Angriffe. Hierdurch eröffneten sich Freiräume für die deutschen Akteure, die teils mit sehenswerten Kombinationen bei Kontern weiter die besseren Gelegenheiten kreierten. In der 31. Minute scheiterte Klose aber noch an James, während es nur eine Minute später Podolski besser machte. Müller bewies tolle Übersicht und passte über Johnson hinweg nach links zum Kölner, der aus spitzem Winkel James tunnelte und ins rechte Eck einschoss.
Deutschland schien alles in der Hand zu haben, doch England schaffte noch den Anschlusstreffer: Gerrard flankte von rechts in die Mitte, wo Mertesacker und Boateng Upson nicht angingen. Der Innenverteidiger stieg hoch und köpfte aus fünf Metern unter die Latte ein. Auch Neuer sah dabei nicht wirklich gut aus. Nur eine Minute später fiel sogar noch das 2:2! Lampard zog aus 17 Metern ab. Das Leder prallte an die Unterkante der Latte und klar hinter die Linie, von dort erneut an die Latte und anschließend in die Arme von Neuer. Zum Glück für das DFB-Team verweigerte Schiedsrichter Jorge Larrionda aus Uruguay den klaren Treffer, so dass die Löw-Elf mit der knappen 2:1-Führung in die Pause gehen durfte.
Ohne personelle Wechsel ging es nach dem Seitenwechsel, dafür mit einer DFB-Elf, die sich zu weit nach hinten zurück zog und weite Teile des Feldes den Engländern überließ. Diese nahmen das Angebot an und näherten sich durch Milner (48.) und Gerrard (49.) dem gegnerischen Gehäuse an. Kurz darauf hatte Lampard mit einem gewaltigen Freistoß aus 35 Metern erneut Pech, als das Leder nur an die Oberkante der Latte knallte (52.).
Der Druck der Briten wurde von Minute zu Minute größer, während Deutschland nur noch selten für Entlastung sorgen konnte. Allerdings stellte sich die deutsche Abwehr zusehends besser auf die wütenden Angriffe der Engländer ein und sorgte schließlich in 67. Minute vor die Vorentscheidung. Bei einem Freistoß waren die “Three Lions” zu weit aufgerückt und wurden eiskalt ausgekontert: Müller passte auf Schweinsteiger, der Johnson austanzte und zum mitgelaufenen Youngster zurückpasste. Müller vollendete schließlich aus 15 Metern halbrechter Position fulminant ins kurze Eck.
Nur zwei Minuten danach hätte Müller sein Torekonto ausbauen können, dieses Mal zielte er aber ein Stück zu weit nach rechts. In der 70. Minute machte es Müller wieder besser: Bei einem Konter ließ Özil Barry ganz locker stehen, drang dann in den Strafraum ein und legte quer zu Müller – 4:1. England zeigte sich danach geschockt, nichts war mehr vom zuvor an Tag gelegten Offensivdrang zu sehen. Deutschland hatte nun keine Mühe mehr, die Begegnung zu kontrollieren. Neuer bekam nur noch einmal etwas zu tun: Zehn Minuten vor dem Ende hatte Gerrard aus 14 Metern gegen den Schalker-Keeper das Nachsehen. Das war dann aber auch die letzte nennenswerte Aktion der Partie.
Deutschland trifft nun am kommenden Samstag, den 3. Juli um 16.00 Uhr in Kapstadt im Viertelfinale auf Argentinien, das Mexiko mit 3:1 ausschalten konnte – eine Neuauflage der WM 2006!
(kicker.de)
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Argentinien ist Deutschlands Gegner im Viertelfinale. Die Mannschaft von Diego Maradona schlug Mexiko am Sonntagabend mit 3:1 (2:0). Vor 84.377 Zuschauern in Johannesburgs Soccer City erzielten Carlos Tevez (26., 52.) und Gonzalo Higuain (33.) die Treffer für die Albiceleste. Allerdings ging der Führung von Tevez eine klare Abseitsstellung voraus. Für Mexiko traf Javier Hernandez (71.). Argentinien trifft kommenden Samstag in Kapstadt auf die deutsche Nationalmannschaft, die am frühen Abend England mit 4:1 besiegte.
(spox.com)
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26. Juni 2010
Das Feuerwerk ist schon von weitem zu sehen. Bunte Raketen steigen in den Nachthimmel von Pretoria, als sich der Bus des deutschen Nationalteams am späten Mittwochabend dem Mannschaftshotel nähert. Und vor dem Eingang warten die freudig erregten Angestellten und klatschen nach der Rückkehr ihrer prominenten Gäste begeistert in die Hände. Sie behalten vorerst ihre Arbeit – zumindest bis Montag herrscht in der Nobelherberge Velmore weiter Hochbetrieb.Selbstverständlich ist das nicht gewesen. Viel jedenfalls fehlte nicht, und der deutsche Tross hätte bereits gestern seine Koffer gepackt und wäre in die Heimat zurückgeflogen. Ein 1:0-Arbeitssieg im letzten Gruppenspiel gegen Ghana hat dies verhindert und den Deutschen den Einzug ins Achtelfinale beschert. Es war der bislang schwächste Auftritt der DFB-Elf in Südafrika – und nicht nur der Kapitän Philipp Lahm kannte dafür den Grund: “Wenn eine Mannschaft so viel Druck hat, dann ist es schwierig, Fußball zu spielen.”
Also doch: der Druck. Tagelang hatten vor dem Spiel alle im deutschen Lager forsch verkündet, dass es nicht einmal den Anflug von Nervosität gebe und es jeder Einzelne gewohnt sei, auch unter großem Druck seine Leistung zu bringen. Mut machten sie sich gegenseitig – und merkten dann, dass es eben doch nicht so einfach ist, ein Spiel zu gewinnen, wenn die Blamage droht, die das erstmalige Scheitern einer deutschen Mannschaft in einer WM-Vorrunde bedeutet hätte.
Spürbar weich waren die Knie der jungen Spieler schon beim Einlauf in die riesige Hauptarena dieser WM, die Soccer City von Johannesburg – noch weicher wurden sie während des Spiels. Ein frühes Tor wollten die Deutschen schießen, das war die Marschroute, doch als dies nicht gelang, verkrampften sie von Minute zu Minute mehr. “Wir hatten Angst davor auszuscheiden”, sagt der Innenverteidiger Arne Friedrich, einer der wenigen, die sich von der Wucht und der Bedeutung dieses Moments nicht beeindrucken ließ.
Lahm: “England ist in der Favoritenrolle”
Mesut Özil hingegen war zunächst das Paradebeispiel dafür, wie ein Hochbegabter Fußball spielt, wenn ihn die Furcht vor dem Scheitern lähmt. Verängstigt schlich der Regisseur über den Platz, selbst die einfachsten Flachpässe gingen daneben. Dann jedoch drosch ausgerechnet er den Ball zum Siegtor ins Netz. Eine Befreiung war es nicht nur für Özil – auch allen anderen soll dieser verkrampfte 1:0-Sieg die Leichtigkeit zurückbringen, mit der die deutsche Elf gegen Australien ins Turnier gestartet ist. “Der Rucksack war groß und schwer”, sagt der Assistenztrainer Hansi Flick: “Jetzt wird es einfacher, weil wir unser Minimalziel erreicht haben. Die Erfahrung des Ghana-Spiels wird uns jetzt helfen.”
Wahrscheinlich sind die Trainer nicht traurig darüber, dass es im Achtelfinale nicht gegen die Amerikaner, sondern gegen England geht. Das ist zwar der schwerstmögliche Gegner, doch hat er, anders als die US-Auswahl, den großen Vorteil, dass ein Sieg keine Pflicht ist. “Wir haben jetzt mehr zu gewinnen als zu verlieren”, sagt der Angreifer Cacau , der gegen Ghana kein schlechtes Spiel machte, allerdings auch zeigte, dass er in der Rolle der einzigen Spitze nicht die Idealbesetzung ist. Nicht nur aufgrund der drohenden Ausfälle der muskelverletzten Bastian Schweinsteiger und Jerome Boateng heißt die neue Strategie nun: bloß keinen Druck aufbauen, bloß keine Erwartungen schüren. Flugs haben alle die Bürde des Gewinnenmüssens den Engländern zugeschoben. Es ist ein durchschaubares, angesichts der Erfahrung des Ghana-Spiels aber auch sehr nachvollziehbares Vorgehen.
Philipp Lahm sagt: “England hat lauter Weltklasseleute und ist in der Favoritenrolle.” Cacau sagt: “Da sind wir nur Außenseiter.” Und Joachim Löw sagt: “Dieser Gegner ist brandgefährlich.” Den Einwand, dass die Engländer in der Vorrunde noch mehr Probleme als sein Team gehabt hätten und sich nur als Zweite qualifiziert haben, lässt er nicht gelten: “Jeder weiß, dass sie sich im Laufe eines Turniers steigern können.” Forsche Töne gibt es dann doch noch – natürlich kommen sie von Thomas Müller. Zwar war auch er gegen Ghana wirkungslos, sein Selbstvertrauen aber findet er schnell zurück. Er kenne die Geschichte der deutsch-englischen Klassiker nur ein bisschen, er kenne “Gary Lineker und solches Zeugs”, sagt Müller. Das interessiert ihn aber nicht, wichtig sei nur, “dass wir die heutigen Engländer wegputzen”.
(STZ 25.6.10)
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