22. Juni 2010

Keine Spur von Selbstzweifeln

Das zweite Gruppenspiel ist verloren, die Nerven liegen blank. Bereits auf dem Platz haben sich die deutschen Spieler nach Kräften gegenseitig beschimpft und machen sich auch danach in der Kabine schwere Vorwürfe. Also sieht sich der Teampsychologe Hans-Dieter Hermann zum Eingreifen gezwungen. Er initiiert eine Mannschaftssitzung ohne die Trainer, eine offene Aussprache der Spieler, die atmosphärische Störungen bereinigen soll. Das gelingt mühevoll – Deutschland schlägt Österreich mit 1:0 und erreicht am Ende sogar das Endspiel dieser Europameisterschaft 2008.

Zwei Jahre später, bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, hat die DFB-Auswahl wieder das zweite Gruppenspiel verloren, wieder gegen ein Team vom Balkan. 1:2 hieß es 2008 gegen Kroatien, 0:1 am Freitag gegen Serbien. Und wieder hat sich das Team damit vor dem letzten Spiel am Mittwoch gegen Ghana selbst unter massiven Druck gesetzt. Diesmal droht sogar eine historische Pleite – noch nie ist eine deutsche Mannschaft bei einer WM schon in der Vorrunde gescheitert. Eine Krisensitzung wird diesmal trotzdem nicht nötig sein: “Ich bin zu hundert Prozent sicher, dass wir weiterkommen”, sagt der Kapitän Philipp Lahm.

Es gibt keine Schuldzuweisungen

Für große Zuversicht im deutschen Lager sorgen mehrere Dinge. Dazu gehört vor allem die Art und Weise, wie die Mannschaft diesmal verloren hat. Chancenlos war sie vor zwei Jahren gegen Kroatien gewesen – und zeigte gegen Serbien vor allem in Unterzahl eine sehr couragierte Leistung. Vieles kam in diesem Spiel zusammen, der frühe Platzverweis für Miroslav Klose etwa, Sami Khediras Schuss an die Latte kurz vor der Pause, der vergebene Elfmeter von Lukas Podolski danach. “Wir lassen uns nicht einreden, dass es ein schlechtes Spiel war, es war sehr ordentlich”, sagt Philipp Lahm und ist überzeugt davon, “dass wir mit elf Mann nicht verloren, sondern mit Sicherheit gewonnen hätten.”

Weitere Hoffnung auf einen Sieg gegen Ghana macht, wie die Spieler mit der Niederlage und auch miteinander umgehen. Es gibt, anders als 2008, keine Schuldzuweisungen und keine teaminternen Spannungen. “Diese Mannschaft hat wirklich einen sehr guten Charakter”, sagt der Teammanager Oliver Bierhoff.

Natürlich sei die Stimmung nach der Niederlage gedrückt gewesen, und natürlich wüssten die Spieler genau, dass die Situation nun viel angespannter sei als nach dem Auftaktsieg. “Aber ich spüre weiterhin einen großen Zusammenhalt”, erklärt Oliver Bierhoff. Und Philipp Lahm sagt: “Man hat auch gegen Serbien gesehen, dass eine Mannschaft auf dem Platz stand, die vollkommen intakt ist.”

Auch Lahm beruhigt die Fans

Gemeinsam mit dem Bundestrainer Joachim Löw (“Wir lassen uns nicht nervös machen, ich bin sicher, dass wir das Achtelfinale erreichen”) hat Lahm die Aufgabe übernommen, die besorgte Nation zu beruhigen und den Kollegen Sicherheit zu vermitteln. Der Druck sei nicht anders als vor jedem Spiel – “die jungen Spieler müssen einfach so weiterarbeiten wie bisher, dann wird es gutgehen.”

Das Auftreten des Kapitäns – auch das ist also anders als bei der Europameisterschaft. Wie der damalige Nationaltorhüter Jens Lehmann in seinen jüngst erschienen Memoiren berichtet, habe Michael Ballack (gemeinsam mit Torsten Frings) vor zwei Jahren schlechte Stimmung in der Mannschaft verbreitet und “die ganze Gruppe zum Nichtstun verdammt”. Nicht zuletzt seinetwegen sei die Krisensitzung nötig gewesen.

Allerdings: der Kapitän Michael Ballack ist 2008 gleichzeitig derjenige gewesen, der im letzten Gruppenspiel das Siegtor erzielt hat. Auch diese Aufgabe muss jetzt ein anderer übernehmen.

(STZ online 21.6.10)

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