Eigentlich wollte ich mich ja während der Durchführung von Geisterspielen weder allzu emotional mit dem Fußball im Allgemeinen und dem VfB im Besonderen beschäftigen und mich schon gar nicht mehr darüber aufregen.
Die Darbietungen des VfB lassen mir jedoch keine andere Wahl, staut sich doch bei weitem mehr Wut auf, als dass man sie in 240 Zeichen auf Twitter herauslassen könnte.
Vor dem Spiel gegen den VfL Osnabrück, mit dem man sich in der 127-jährigen Vereinsgeschichte allenfalls im DFB-Pokal oder mit den Amateuren die Klingen gekreuzt hatte, befand man sich in der äußerst komfortablen Situation, trotz teils verheerender Auftritte, den Aufstieg aus eigener Kraft schaffen zu können. Dies war dem großen Glück zu verdanken, dass der HSV seine 2:0-Pausenführung im Neckarstadion leichtfertig aus der Hand gab und damit dem VfB im Aufstiegsrennen gnädigerweise den Vortritt ließ. Anstatt dieses Geschenk in Ehren zu halten und trotz einer durchwachsenen Saison in die Bundesliga durchzumarschieren, legt die Truppe fünf Spieltage vor Saisonende einen derart leblosen Auftritt hin, nach dem es mir schwerfällt, auch nur einen Spieler zu benennen, den ich auch in der nächsten Saison noch gerne beim VfB sehen würde.
Die Identifikation mit dieser Ansammlung von Möchtegern-Berufsfußballern ist auf ein Minimum gesunken, kein Einziger hat den Mumm, sein Herz in die Hand zu nehmen und einen minderbemittelten und zudem stark ersatzgeschwächten VfL Osnabrück aus dem Stadion zu schießen. Bezeichnend ist, dass Tage nach dem Spiel gerade mal eine vergebene Großchance der Osnabrücker und Philipp Försters Pornobalken im Gedächtnis blieben.
Hieß es zum Ende der Vorrunde noch, das immer volle Stadion erzeuge eine Erwartungshaltung und einen Druck, mit dem unsere jungen Spieler erst lernen müssten umzugehen, zeigt sich im nun leeren Stadion, dass überhaupt kein Leben in dieser Truppe herrscht und es fußballerisch keine Rolle spielt, ob Fans da sind oder nicht!
Tim Walter entließ man, so Mislintat wörtlich, weil „Die eingehende Analyse der Hinrunde ergab, dass wir unsere kurz- und mittelfristigen Zielsetzungen, aufzusteigen und unsere Spieler und Spielidee gemeinsam konsequent weiterzuentwickeln, gefährdet sehen“. Legt man bei Pellegrino Matarazzo dieselben Maßstäbe an, müsste dieser nach einer derart leblosen Vorstellung fünf Spieltage vor Schluss ebenso schon wieder die Koffer packen.
Doch, diese Maßstäbe scheinen für Matarazzo eben nicht zu gelten, bekam er doch jüngst als Belohnung für die nicht minder peinlichen Pleiten bei Wehen-Wiesbaden und Holstein Kiel eine Vertragsverlängerung serviert. Einen restlos überzeugenden Auftritt legte man in dieser Saison weder unter Walter noch unter Matarazzo hin, Matarazzos 21 Punkte aus zwölf Spielen gegen Gegner, gegen die Walter „nur“ 20 Punkte ergattert hatte, dürften auch nicht als Argument herhalten, Matarazzo um so sehr viel fähiger als Walter zu halten.
Vielmehr ist herauszuhören, dass Tim Walter und Sven Mislintat nicht miteinander konnten und die Chemie zwischen Matarazzo und Mislintat so viel besser sei. Ein Schelm, der dabei denkt, beim VfB würde es mehr um persönliche Befindlichkeiten als um den VfB gehen.
Mich stimmt diese Entwicklung schon wieder äußerst bedenklich. Durch die völlig unnötige Vertragsverlängerung mit Pellegrino Matarazzo hat sich der VfB gehörig unter Druck gesetzt und Mislintat hat sein „Schicksal“ mit dem von Matarazzo verknüpft, und das, obwohl doch jeder im „schwierigen Umfeld“ von Stuttgart weiß, dass Matarazzo weder zu halten sein dürfte, wenn der Aufstieg verpasst werden sollte, noch, sollte der VfB schlecht in die neue Saison finden.
Als Außenstehendem fällt es mir schwer auch nur ein Argument für diesen Trainer zu finden, das erklären würde, weshalb eine Vertragsverlängerung jetzt notwendig gewesen ist. Man musste vermutlich keine Angst haben, dass der Trainer abgeworben werden könnte und von taktischen Kniffen ist bislang wenig bis nichts zu sehen – den Eindruck dieser Truppe mal ordentlich in den Arsch treten zu können erweckt er auch nicht und in einem richtungsweisenden Spiel wie gegen Bielefeld sandte er völlig falsche Signale aus, die uns letztlich zwei Punkte kosteten. Es wurde in der Rückrunde kein Spieler besser und ein Junge wie Massimo, der einmal seine Nerven nicht im Griff hatte, spielt danach keine Rolle mehr, obwohl unserem Spiel seine Schnelligkeit nicht schlecht zu Gesicht stehen würde.
Durch die Entlassung von Tim Walter verschwand meine Illusion, einer Entwicklung mit Kontinuität Zeit zu geben, so dass ich relativ schmerzfrei wäre, wenn Matarazzos Zeit beim VfB ein ebenso kurzes Intermezzo bliebe.
Matarazzo hatte mit der Wintervorbereitung und Wintertransferperiode Zeit genug, dem Team ein anderes Gesicht und einen anderen Spirit zu geben, als der, den wir in der Vorrunde hatten. Wenig bis nichts ist passiert. Wir stehen zwar hinten um Nuancen besser, dies aber zu Lasten der Offensive. In der Vorrunde war wenigstens noch Zielstrebigkeit erkennbar, während es jetzt nur noch scheint, als hoffe jeder auf den Zufall. Keine einstudierten Spielzüge, kein Plan, kein Konzept!
Völlig entlarvend ist doch die Aussage von Pascal Stenzel, seines Zeichens Ersatzkapitän vom Ersatzkapitän, das Team habe, weil sie gut ins Spiel fanden, geglaubt, es laufe jetzt von selbst. Beim Stande von 0:0 wohlgemerkt. Dies sagt einiges über die Mentalität dieser Truppe aus, die auch am 30. Spieltag die 2. Liga und ihre Besonderheiten nicht verstanden hat.
So lässt sich auch Badstubers mehr und mehr zur Schau getragene Unzufriedenheit erklären, der der einzige von großem Ehrgeiz getragene Akteur zu sein scheint. An Gomez nagt die Situation zwar auch sichtlich, er aber kann aufgrund seines Alters und der ihm abgegangenen Spritzigkeit auf dem Platz immer weniger Impulse setzen.
Derzeit kann ich es mir nicht vorstellen, dass Matarazzo seinen Vertrag auch nur annähernd erfüllen darf. Da Matarazzo mittlerweile „mein“ 46. (!) Trainer ist, seit ich 1974 erstmals im Neckarstadion war, dauert es ohnehin, bis ich einen Übungsleiter ins Herz schließe und auf ein langfristiges Engagement hoffe. Bei Hannes Wolf, dem ich es zugetraut hätte, unter der Regie von Jan Schindelmeiser etwas aufzubauen, war das zeitweise der Fall, obwohl ich am Ende froh war, dass man sich getrennt hatte. An Tim Walter gefiel mir anfangs seine Aufgeschlossenheit allen gegenüber und dass sich „Hitzlintat“ dem Anschein nach etwas gedacht hatten, ihn zu verpflichten. Dabei sah ich sogar darüber hinweg, dass er ein KSC-Urgestein mit im Gepäck hatte.
Nach dessen Entlassung aber und da man den eingeschlagenen Weg so schnell wieder verlassen hat, sehne ich mich tatsächlich nach einem „richtigen“ Trainer, der sich bereits Meriten erworben hat. Die letzten davon, die mir spontan einfallen, waren Bruno Labbadia und Huub Stevens, jeweils nicht ganz unerfolgreich. Wir sind mittlerweile mehr Ausbildungsverein für Trainer und Sportdirektoren, als für Spieler aus dem Nachwuchsleistungszentrum!
Mir wäre mittlerweile ein Mann wie Felix Magath an der Linie lieber, der als ehemaliger Spielmacher Didavi, wie einst schon Balakov, zu alter Stärke führen und nach leblosen Auftritten mitten in der Nacht trainieren lassen oder die Jungs um den Bärensee scheuchen würde. Klingt zwar ein wenig aktionistisch, würde eine leblose Mannschaft aber womöglich aufrütteln.
Magath hat immer seine Verbundenheit zum VfB und zur Stadt Stuttgart beteuert, ihm würde ich mittlerweile sogar die angedrohte Babypause vor seinem Wechsel zu den Bayern verzeihen. Magath ist nur ein Beispiel und steht für eine Generation von Trainern, die mehr auf ihren gesunden Menschenverstand gehört haben, als Daten der Spieler auszuwerten und anhand derer die Mannschaftsaufstellung auszuwürfeln.
Oft wird ja die These aufgestellt, dass wir mit derartigen Auftritten in der Bundesliga nichts zu suchen hätten. Auf der anderen Seite muss man aufsteigen, um den Rückstand auf längst enteilte Clubs wie Freiburg, Augsburg und Mainz nicht noch größer werden zu lassen und sich in absehbarer Zeit wieder heranpirschen zu können. Da letzten Sommer, wie es den Anschein hat, vernünftig gewirtschaftet wurde und, abgesehen von teuren Altlasten der Reschkerampe, ein Zweitligakader zusammengestellt und von den immensen Transfereinnahmen nur ein Bruchteil ausgegeben worden ist, sollte es dem VfB, trotz Corona, möglich sein, finanziell nachzulegen und sich für die Bundesliga zu verstärken.
Ein zweites Zweitligajahr hätte wohl die Folge, dass uns die wenigen hoffnungsvollen Spieler verlassen würden und uns das Gros an biederen Zweitliga-Kickern erhalten bleiben würde. Aufzusteigen würde immer schwerer werden, ebenso wie den Jungs im NLZ eine Perspektive beim VfB aufzeigen zu können. Düstere Szenarien, auch wenn mir persönlich Vereine und Stadien im Unterhaus mehr entgegenkommen, als die abgehobene Glitzerwelt in der Bundesliga.
Aus VfB-Sicht MUSS man also aufsteigen, komme was wolle. Dass sich das Team auf dem Rasen auch vier Spiele vor Saisonende noch in der Findungsphase befindet, ist dabei eher kontraproduktiv.
Auch wenn der große Hamburger SV letztmals gegen Holstein Kiel ein Ligaspiel gewann, als Uwe Seeler noch ein Tor beisteuerte, hätte ich nie gedacht, dass die Rauten die Vorlage des VfB so leichtfertig verspielen. Da Heidenheim in Hannover als Verlierer vom Platz ging, kann der VfB nun gar als Gewinner des Spieltags bezeichnet werden, wie grotesk ist das denn?
Das Restprogramm vom VfB liest sich mit KSC, Sandhausen, Nürnberg und Darmstadt leicht, zumal der HSV noch in Heidenheim und Heidenheim zudem noch gegen Bielefeld antreten muss. Auf die leichte Schulter nehmen darf man diese Gegner allesamt aber nicht. In der Vorrunde erreichte man sieben Punkte gegen diese vier Vereine, eine Ausbeute, mit der es bei gleichem Verlauf schwer werden dürfte, am Ende unter den ersten zwei zu sein. Auf die Relegation sollte man es nicht ankommen lassen, auch wenn die Abstiegskandidaten der Bundesliga derzeit keine Angst einflößen. Im Normalfall ist dort der Bundesligist haushoher Favorit und setzt sich mehr oder weniger souverän durch, wenn er eben nicht ausgerechnet VfB Stuttgart heißt.
Bitter ist, dass auch das Derby ohne Zuschauer stattfinden wird. Die ganze Fortsetzung des Spielbetriebs fühlt sich schon so falsch an, ein Derby ohne Zuschauer jedoch ganz besonders. Ich hoffe, dass die Jungs mit dem Brustring sich der Bedeutung dieses Aufeinandertreffens bewusst sind und wenigstens einmal von Beginn an keine Zweifel offen lassen, wer hier als Sieger vom Platz gehen wird. Tritt man ähnlich inspirationslos wie zuletzt auf, könnte es ein böses Erwachen geben und sich der VfB doch auf dem dritten Platz wiederfinden. Dann dürfte die Luft, nicht zuletzt für die Verantwortlichen, langsam aber sicher dünn werden.