Auch wenn man das eigene Team mitunter verflucht und nicht mehr sehen kann, wenn die beiden letzten Spiele gegen Hannover 96 und die Würzburger Kickers sang- und klanglos verloren gehen, ist man nach ein paar Wochen Erholungspause für uns und dem Urlaub für die Spieler wieder heiß darauf, zu sehen, wie es weiter geht.
Die Hoffnung auf bessere Zeiten stirbt ja bekanntlich zuletzt, zudem war ich sehr gespannt, wie Trainer Hannes Wolf in Lagos seine erste Vorbereitung angehen werden würde.
Da die Sommertrainingslager mittlerweile sehr überlaufen sind und, vor allem wenn sie in den Sommerferien stattfinden von Familien mit kleinen Kindern und jungem Partyvolk übervölkert sind, findet man im Wintertrainingslager doch eine Atmosphäre vor, in der man „unter sich“ ist.
Hauptsächlich Allesfahrer verschiedener Fanclubs und Ultras-Gruppierungen sind dann vor Ort, eben Leute, die man kennt und mit denen man die Gelegenheit hat, sich besser kennenzulernen und gemeinsam etwas zu unternehmen.
Dass das Trainingslager außerdem auch die Möglichkeit bietet, dem kalten und grauen Deutschland eine Woche lang den Rücken zuzukehren und Sonne fürs Gemüt zu tanken, ist eine positive Begleiterscheinung, auch wenn man natürlich nicht drin steckt, welches Wetter einen denn erwarten würde.
Bereits vor zwei Jahren schlug der VfB an gleicher Stelle seine Zelte auf, damals war es für Portugal eher frisch und regnerisch. Wir hatten seinerzeit schon mal Temperaturen um die 12°, wenn dann noch Nieselregen und der typisch böige Wind am Atlantik hinzu kommen, wird es auch im Südwesten Europas ziemlich ungemütlich.
Dieses Mal freilich wurden wir von Sonne pur verwöhnt, das Thermometer kletterte nahe an die 20°-Marke und der Wind war nur an den ersten beiden Tagen etwas frisch. Als es bereits dem Ende unseres Aufenthalts zuging, erfolgte ein Temperatur-Sturz mit deutlich frischeren Temperaturen, ohne allerdings, dass der Sonnenschein nachgelassen hätte.
Der VfB buchte sich vom 13. bis zum 20. Januar ins Cascade Wellness & Lifestyle Resort ein. Wir planten unseren Aufenthalt umgehend nach Bekanntgabe des Termins, ebenfalls für eine Woche und nur um einen Tag nach vorne versetzt. Dies rührte daher, dass wir donnerstags günstig ab und bis Memmingen nach Faro reisen konnten, was uns leider das erst während des Trainingslagers vereinbarte Spiel in Huelva gegen Lausanne Sports (1:0) am Donnerstagabend kostete.
Im Vorfeld stimmten wir uns mit den Stammtrainingslagerfahrern ab, dass wir unser Domizil im 4-Sterne-Hotel Tivoli Lagos aufschlagen würden, das mitten im Zentrum von Lagos gelegen ist und einen Mietwagen bedingte, sofern man nicht vier Mal am Tag einen 45-minütigen Fußmarsch zum Trainingsgelände und zurück in Kauf nehmen oder aufs Taxi angewiesen sein wollte.
Den Mietwagen, der dank kostenlosem Upgrade ein Nissan Qashqai geworden ist, holten wir direkt am Flughafen ab und fuhren Donnerstagabend die 80 Kilometer von Faro nach Lagos. Einige Bekannte, die den gleichen Flieger ab Memmingen genommen hatten, trafen wir im Hotel wieder, so dass wir gegen 23 Uhr noch zusammen ins Adega da Marina essen gingen. Dieses Lokal gleicht eher einer Kantine denn einem Restaurant, so dass ich bereits bei unserem letzten Aufenthalt anmerkte, dort nicht mehr unbedingt hin zu wollen, doch, Donnerstagabend, 23 Uhr, hatten wir keine andere Möglichkeit mehr, so dass die Mahlzeit, Stichwort gewürzte Knochen, letztlich den Hauptzweck erfüllte, und uns so stärkte, um zum Abschluss des anstrengenden Anreisetages noch das eine oder andere Bierchen trinken zu können.
Den nächsten Tag dann hatten wir „frei“, da mit der Mannschaft erst gegen Spätnachmittag zu rechnen war. Planmäßige Ankunft des Teams war um 12 Uhr mittags in Lissabon, der noch eine gut dreistündige Busfahrt runter an die Algarve folgen sollte. Anders als noch vor zwei Jahren betrieb man nicht den Aufwand, den Mannschaftsbus gut 2.500 Kilometer voraus zu schicken, nur um die Mannschaft vom Flughafen abzuholen und wieder dorthin zu bringen. Die Wege in Lagos für das Team sind kurz, so dass der Bus noch vor zwei Jahren während des gesamten Aufenthalts eigentlich nur sinnlos herumgestanden war.
Wir nutzten unseren freien Tag ein paar kleinere Stadien entlang der Algarve abzuklappern und Bilder davon zu machen. Nahe Quarteira erinnerte ich mich an ein Schweizer Lokal in der Nähe, in dem ich während der Euro 2004, als wir unser Quartier in Quarteira aufgeschlagen hatten und per Mietwagen zwei Mal hoch nach Porto und einmal nach Lissabon zu den deutschen Spielen fuhren, das beste Cordon Bleu entlang der Algarve verköstigte.
Da beim ergoogeln der genauen Adresse Bewertungen vom Januar 2015 ins Auge stachen, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass es das Restaurant noch gibt und auch, dass es im Winter geöffnet haben könnte. Eigentlich kamen wir zu spät dort an. Bis 15 Uhr hätte es warme Küche gegeben, das Küchenpersonal war nach Hause geschickt und doch wirkte bei der Gastwirtin meine Geschichte von 2004 und vor allem, dass ich mich noch an das gute Cordon Bleu von damals erinnern würde. So stellte sie sich selbst an den Herd, beorderte ihre greise und schwer auf den Beinen befindliche Mutter her und fing für uns das brutzeln an. Uns allen hat es sehr gemundet, so dass sich dieser Abstecher schon einmal gelohnt hat.
Den Gedanken, auch noch die Stadien in Faro in Angriff zu nehmen, verwarfen wir dann wieder. Zum einen machte das Essen träge und bremste unseren Tatendrang, zum anderen hatte es auch durchaus seinen Charme, das Team direkt nach Ankunft begrüßen zu können.
So fuhren wir also zurück und erhielten kurz vor der Ankunft am Tivoli eine SMS mit der Info, dass die Mannschaft ab 18 Uhr ihr erstes Training auf portugiesischem Boden im Estádio Municipal Fernando Cabrita in Lagos abhalten würde. Aufgrund schwerer Turbulenzen im deutschen Luftraum wegen des Wintereinbruchs war die Mannschaft verspätet gelandet. Da Hannes Wolf auf dieses erste Training Wert legte und der Trainingsplatz am Hotel kein Flutlicht besitzt, zog man kurzerhand ins Stadion um, was uns Gelegenheits-Groundhoppern natürlich sehr gelegen kam.
Das „Hallo“ war dann erst einmal groß, schließlich kennt man sich inzwischen, vor allem die Konstanten im Staff, ob Holger Laser, Günne Schäfer, Klenky, Peter Reichert oder Meuschi. Jedem mal hallo sagen. Hier wurde die Gelegenheit genutzt erste organisatorische Dinge in Erfahrung zu bringen und sich erklären zu lassen, weshalb bspw. Günther Schäfer entschied, den Mannschaftsbus zu Hause zu lassen. Das Training selbst war kurz und diente lediglich der Auflockerung der von Flug und Busfahrt geschundenen Muskulatur, für uns Fotografen waren die Lichtverhältnisse im Stadion sehr bescheiden, so dass der Smalltalk am Rande des Trainings ganz klar im Vordergrund stand.
Am nächsten Morgen dann stand das erste Training am Mannschaftshotel an. Dort trafen dann auch immer mehr (bekannte) VfBler ein, die vorwiegend von Frankfurt/ Hahn aus einschwebten, so dass sich auch da zunächst einmal eher Begrüßungsrituale und fachkundige Gespräche entwickelten, als dass man konzentriert das Training beobachten würde.
Da nicht nur die Mannschaft für die Rückrunde gewappnet sein muss sondern auch wir Fans und am Trainingsplatz erwartungsgemäß wieder kein Getränkeverkauf stattgefunden hat, führte uns unser erster Weg nach dem Training, jetzt wo wir nahezu komplett waren, zunächst einmal in den Supermarkt. Wie bei einem Flashmob fanden sich in diesem unverabredet immer mehr VfBler ein, so dass wir zeitweise den kompletten Betrieb lahm legten.
Wir, eben ganz Schwaben, hatten ein Sonderangebot über 20 Sagres-Fläschchen im Auge, von dem sich lediglich zwei Pack im Regal befanden. Da das 30er-Päckle ungefähr das Dreifache dessen kostete, machten wir Rabatz an der Kasse, dass sich schnellstmöglich jemand ins Lager bewegen und Nachschub besorgen sollte.
Nach kurzen Diskussionen wurde diesem Wunsch dann auch entsprochen, auch wenn die Wartezeit daraufhin zäh war. Währenddessen „warnten“ wir später eintreffende VfBler vor dem (teuren) Fehlkauf, so dass ein heilloses Durcheinander im Intermarché die Folge war und sämtliche Kassen blockiert waren. Nachdem alles zu unserer Zufriedenheit abgewickelt war, feierten wir eine kleine aber feine spontane Supermarkt-Parkplatz-Party, das Leben ist schön!
Danach ging es dann zu unserem ersten Fußballspiel während unseres Aufenthalts, erneut ins Estádio Municipal Fernando Cabrita zum 4.-Ligaspiel C.F. Esperança de Lagos-Futebol Clube de Ferreiras, welches 1:1 endete. Knapp 200 Zuschauer, darunter zwischen 20 und 30 VfBler sahen einen Kick auf mäßigem Niveau, der dennoch lustig war und Spaß machte. Bei Bier für einen Euro, Erdnüssen und Sonne pur lernten wir in der Kürze der Zeit sogar die Lieder der Lagos-Fanszene, welche teilweise Ohrwurmcharakter besitzen und einen bis heute nicht mehr los lassen.
Den darauf folgenden Abend, an dem erstmals alle zusammen waren und die Shaker-Bar unsicher gemacht wurde, würde ich schon heute als legendär bezeichnen. Noch habe ich keine allzu aussagekräftigen Bilder oder gar Videos davon gesehen, weiß aber, dass welche „in der Mache“ sind.
Am nächsten Morgen um 11.15 Uhr besuchten wir dann noch das 2. Liga-Spiel SC Portimonense- Sporting Lissabon B im Estádio Municipal de Portimão. Die gut 20 Kilometer lange Anfahrt sollte sich lohnen, war dort doch etwas mehr Stadionatmosphäre zu spüren als tags zuvor in Lagos. Die langen Schlangen, sowohl an den Ticketschaltern als auch später zum Einlass ins Stadion ließen nichts Gutes vermuten, waren wir doch schon recht knapp dran. So verpassten wir die Anfangsminuten dieses einseitigen Spiels, das Portimão klar mit 4:0 für sich entschied. Die Uhrzeit wäre prädestiniert gewesen, einen Frühschoppen abzuhalten, leider wurde jedoch nur alkoholfrei ausgeschenkt. Hat diese Unsitte also auch schon die zweite portugiesische Liga erreicht, mir fehl(t)en die Worte.
Nach dem Spiel hieß es die Füße in die Hand zu nehmen und sich zu sputen, wartete doch schon um 14 Uhr das Aufeinandertreffen unserer Brustringträger mit dem MSV Duisburg auf uns, dem einzigen VfB-Testspiel während unseres Aufenthalts.
Eine Trainingseinheit verpassten wir an diesem Morgen nicht, Trainer Hannes Wolf legte offensichtlich wert auf eine frische Mannschaft und echte Erkenntnisse aus diesem Test. Diese waren dann schließlich, dass sich die Truppe defensiv zu stabilisieren scheint, vorne jedoch noch die Durchschlagskraft fehlt, folgerichtig das Ergebnis: 0:0.
Hannes Wolf hat gleich zu Beginn des Trainingslagers den Mannschaftsrat selbst bestimmt, wohl auch, um einem unerwünschten und unvorhersehbaren Wahlergebnis vorzugreifen und dieses somit zu verhindern. Meiner Meinung nach fand er dabei eine gute Mischung, die zugleich Achse auf dem Platz werden soll, indem er Keeper Mitch Langerak, Abwehrchef Timo Baumgartl, Kapitän und „Mittelfeld-Regisseur“ Christian Gentner sowie Sturmtank Simon Terodde für befähigt hält, in dieser Truppe den Ton anzugeben. Charakterlich hat er bei seiner Auswahl sicherlich ins Schwarze getroffen, inwieweit sich deren Standing im Team weiter erhöht und sie die Akzeptanz des restlichen Teams haben werden, bleibt abzuwarten. Akzeptanz erwirbt man sich immer am besten dadurch, wenn es einem gelingt, mit Leistung voran zu gehen.
Am nächsten Tag stand für mich nach dem einzigen Training am Vormittag ein absolutes Highlight auf dem Programm. Seit 1983 war ich unzählige Male an der Algarve und schlug dabei vor allem in den „wilden“ 80ern mein Lager stets in Sagres auf. Sagres ist bis heute eine Oase der Ruhe und Anziehungspunkt für unzählige Hippies und Aussteiger, fernab des Massentourismus à la Praia da Rocha (bei Portimão) und Albufeira.
Mit dem Örtchen, in dem mein damaliges Stammlokal Rosa Dos Ventos leider geschlossen ist und in sich zusammen zu fallen scheint, verbinden mich unzählige schöne Erinnerungen, so dass es immer auch eine Reise in die Vergangenheit ist, an einen Ort an dem man die Seele baumeln lassen kann.
Etwa sechs Kilometer von Sagres entfernt befindet sich das Cabo de São Vicente, der südwestlichste Zipfel Europas, an dem mittlerweile in den Sommermonaten die letzte Bratwurst vor Amerika verkauft wird.
Die für die Algarve typische Felsküste, der nahe gelegene Strand von Beliche, die Wellen, die von allen Seiten an die Felsen knallen, all das macht für mich das Cabo zu einem magischen Ort, an den ich bei jedem Algarve-Aufenthalt gerne und fast zwangsläufig zurückkehre.
Vor zwei Jahren noch peitschte der Wind derart, dass wir die Autotüren kaum öffnen konnten, dieses Mal war es weitaus angenehmer bei mäßigem Wind und strahlendem Sonnenschein. Mit den anderen VfBlern verabredeten wir uns am Kap, machten schöne Erinnerungs- und Gruppenfotos und nahmen schließlich in Sagres an der Praca da Republica noch einen kleinen Imbiss ein, bevor es wieder zurück nach Lagos ging. Da am Abend kein Training angesetzt war, konnten wir diesen Nachmittag sehr gechillt verbringen und vor allem ich in Erinnerungen schwelgen.
Der Abend im einzigen Irish Pub von Lagos, der zudem nur etwa 50 Meter entfernt von unserem Hotel entfernt ist, hatte es dann auch noch in sich. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir an diesem Abend unser letztes Bier getrunken haben, jedenfalls zogen sich diese bis fast vier Uhr morgens hin. Der Wirt, aufgrund seines Bartes selbsternannter Santa Claus von Lagos und seine hinter dem Tresen schuftende Tochter schlossen das Lokal pflichtgemäß um 2 Uhr nachts ab.
Dann bekamen wir im eigentlichen Nichtraucher-Lokal Aschenbecher hingestellt und wurden gebeten, uns ruhig zu verhalten, da die Polizeistunde bereits vorüber war und die waschechten Iren sonst Ärger bekommen könnten. So entwickelte sich ein extrem lustiges Beisammensein, bei dem man schnell die Zeit vergaß!
Am nächsten Morgen schwächelten mein Zimmergenosse und ich dann, indem wir die Aufforderung, „wer bis 9 Uhr nicht fertig ist, kann liegenbleiben“ wörtlich (wie auch sonst?!) nahmen und liegen blieben. Die anderen setzten die Stadiontour gen Faro fort, wir starteten weitaus gemütlicher in den Tag und päppelten uns mit Kaffee und Mineralwasser langsam auf. Noch ohne gefrühschoppt zu haben, wurden wir von Holger Laser für vfb-tv zum Interview gebeten, was vielleicht erklärt, dass ich sprichwörtlich einen Kloß im Hals hatte. Naja, war ja „nur“ für die VfB-Familie…
Die Tradition eines Fanabends, bei dem sich einige Spieler und Offizielle an der Bar des Mannschaftshotels blicken lassen und der VfB die Zeche (bis zu einer bestimmten Uhrzeit) für Bier, Wein und Softgetränke übernimmt, setzte sich auch dieses Mal fort. Im Gegensatz zu so manchem Sommertrainingslager, wo der komplette Trainerstab und alle Spieler diesen Pflichttermin wahrnehmen (müssen), werden bei Wintertrainingslagern in der Regel eine Handvoll Spieler abgesandt.
Die Anordnung der Spieler auf die Tische war recht ungleich um nicht zu sagen unglücklich verteilt. Saßen an einem Tisch mit fünf Fans gleich vier Spieler (Großkreutz, Özcan, Gentner, Zimmer) konnte sich bspw. mein Tisch und jener nebenan um Matthias Zimmermann „streiten“.
Mitch Langerak war einziger Matador an einem weiteren Tisch, sowie Simon Terodde an jenem vom Rest unserer Reisegruppe. Terodde muss dabei einen erstklassigen Eindruck hinterlassen haben und war selbst so interessiert an unserem Fan-Leben, dass er auch einige Fragen mitgebracht hatte. Zudem richtete er durch die Blume formuliert Erwartungen an die Fans was deren Umgang mit der Mannschaft betrifft. Besonders im Gedächtnis blieb ihm dabei seine Zeit bei Union Berlin und deren Kodex, die eigene Mannschaft niemals während des Spiels auszupfeifen, ihr den Rücken zuzukehren oder das Spiel vorzeitig zu verlassen.
Langerak interessierte mich an diesem Abend ohnehin weniger, weil ich mich mit ihm in Grassau schon ausführlich unterhalten konnte, Großkreutz und Gentner waren ohnehin von einigen umgarnt, so dass ich dann nach einiger Zeit und einigen Bier doch noch mit Matthias Zimmermann ins Gespräch einstieg.
Leider fehlte mir bei ihm eine vernünftige Basis, weil er ziemlich desinteressiert wirkte und Phrasen wie vor Fernsehkameras von sich gab. Unter der Hand war während des Camps schon wieder zu hören, dass es in der Mannschaft Grüppchen gäbe, die eher gegen- als miteinander arbeiten würden, so dass ich Zimmermann unter anderem nach dem Teamgeist und ob alle miteinander auskämen befragte, wobei er mit „alles bestens“ antwortete. Dass Spieler, bei dem, was sie sagen, vorsichtig sind und einem nicht alles aufs Brot schmieren, ist natürlich und bin ich ja auch gewohnt, dass einer dabei aber stromlinienförmig antwortet und keine Vorlagen liefert, auch zwischen den Zeilen zu lesen, langweilt mich dann schon extrem.
Berkay Özcan sprach ich dann, kurz bevor er ging, auch noch an und redete mit ihm über den Mercedes-Benz Juniorcup, bei dem er im Vorjahr noch Spieler und in diesem Jahr Zaungast war. Dabei war seine steile Karriere und auch seine Freundschaft zu Mesut Özil ein Thema. Der Junge gefiel mir, weil er schnell, authentisch und ungekünstelt antwortete und einen freundlichen Eindruck hinterließ.
Außer Kevin Großkreutz (!) verließen die anderen Spieler die Veranstaltung nach und nach, so dass wir, auch weil wir nach dem offiziellen Teil weiter bleiben durften, in sehr gute Gespräche mit Fanbetreuung, Ultras und Fanclubvertretern einstiegen und so einiges über deren jeweilige Organisation und Aktionen erfuhren. Dies unterstrich einmal mehr den Zusammenhalt in der Fanszene und dass man eher nach dem gemeinsamen Nenner als nach Konfrontation strebt. So war dies an diesem Abend für mich das eigentliche Highlight.
Der Abend wurde lang und wäre möglicherweise noch länger geworden, wenn nicht vier Vertreter einer kleineren Ultras-Gruppierung, die mir schon beim Hochhalten eines Banners über Bibiana Steinhaus gegen Heidenheim negativ aufgefallen war, nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als in der Hotelbar eines Luxushotels niveaulose Gesänge anstimmen zu müssen und nicht einmal bemerkt haben, dass dies in jeglicher Hinsicht, nicht nur des Ambientes wegen, daneben war und keiner der anderen Anwesenden mit eingestimmt hatte.
Das war negativer Höhepunkt eines ansonsten sehr schönen Abends. Dafür dürfen wir dem VfB dankbar sein und es weiterhin nicht als selbstverständlich erachten. Deshalb ärgert es mich auch sehr, wenn einige wenige bei solchen Gelegenheiten über die Stränge schlagen und die Gefahr dadurch erhöhen, dass solche Fanabende irgendwann der Vergangenheit angehören könnten.
Freilich würde sich der Verein ein Stück weit auch ins eigene Fleisch schneiden, würde er jene bestrafen, die sich zu benehmen wissen. Als Fan hat man nämlich selten Gelegenheit so nah am Puls des Vereins zu sein und sich durchaus auch die Sorgen und Nöte der Protagonisten anzuhören und für gewisse Verhaltensmuster ein Verständnis zu entwickeln. Daher können solche Fanabende dem Verein auch nützen, vor allem wenn man sich in der Bringschuld sieht und Vertrauen neu aufbauen möchte. In lockerer Atmosphäre unter Palmen und weit weg vom sonst vorherrschenden Ligadruck lässt es sich gut aufeinander zugehen!
An unserem letzten Tag standen noch zwei Trainingseinheiten an. Während der ersten lud die Fanbetreuung einige Auserwählte zu einem Gespräch nach dem zweiten Training mit dem inzwischen eingeflogenen Präsidenten Wolfgang Dietrich ein. Dieser sei interessiert an einem Gespräch mit dem anwesenden Querschnitt an Fans, was ich sofort begrüßte.
Dietrich hat sich nach seinem schlechten Wahlergebnis, schließlich war er der alleinige Präsidentschaftskandidat, auf die Fahne geschrieben, die Leute mitnehmen und bis zur nächsten Mitgliederversammlung die Zustimmung für ihn steigern zu wollen.
Wenngleich ich Dietrich nicht gewählt habe und mir dabei weniger seine Vorgeschichte als S21-Sprecher und sein Schaffen als ehemaliger Inhaber eines undurchsichtigen Firmengeflechts ein Dorn im Auge waren, als die Tatsache, dass er wieder mal einziger Kandidat des ungeliebten Aufsichtsrats war und gegen alle Widerstände durchgeboxt wurde, habe ich es mir nach seiner Wahl vorgenommen, möglichst unvoreingenommen heranzugehen und zu gegebener Zeit über seine Taten zu urteilen.
Auch wenn die Art und Weise seiner Wahl weh tat und noch immer weh tut, muss jetzt der Verein im Vordergrund stehen. Dass dieser wieder in ruhigere Fahrwasser gerät, dafür braucht es Ruhe und keine Nebenkriegsschauplätze.
Dass sich Dietrich auch noch nach seiner Wahl auf Werbetour zu befinden scheint, spricht für sich und unterstreicht, wie er kämpfen muss, um die VfB-Gemeinde zu einen und von sich zu überzeugen. Diese “Tingelei” empfinde ich jedoch als legitim und, wie man hört, sehen bereits jetzt viele in ihm einen guten Präsidenten und den Verein insgesamt mit dem neuen Vorstand gut aufgestellt. Vom Fanclub Courage Gerlingen, den er beim Auftakt seines Jubiläumsjahres (10 Jahre) beehrte, hörte ich bereits, dass er dort einige Pluspunkte sammeln konnte.
Dass sich Dietrich überhaupt die Zeit nimmt und von sich aus an einem Dialog mit den Fans interessiert ist, werte ich jedenfalls als Positivum, dass wir binnen 24 Stunden zum zweiten Mal im erlauchten Ambiente des Mannschaftshotels empfangen wurden, als nicht selbstverständlich und schönen Nebeneffekt. Für Fragen ein anderes Ressort betreffend hat Dietrich zudem Marketing-Vorstand Jochen Röttgermann mitgebracht, der ebenfalls aktiv in die Runde eingebunden war.
Dietrich machte in Sachen Ausgliederung aus seinem Herzen keine Mördergrube und erklärte, dass sie für ihn zwar unumgänglich sei, die Entscheidung darüber, so oder so, jedoch in diesem Jahr vom Tisch sein müsse und dann auch als gegeben akzeptiert werde. Er wolle zwar keine Kritik an seinen Vorgängern üben, ABER, auf gut deutsch gab es in den letzten vier, fünf Jahren nur dieses eine Thema, weshalb das Tagesgeschäft sträflich vernachlässigt wurde.
Der Vereinsführung ist es klar, dass zunächst einmal Vertrauen der Mitglieder zurückgewonnen werden muss, ehe man reelle Chancen hat, die Ausgliederung durchzubekommen. An diesem Vertrauen kann u. a. durch solche Gespräche, VfB im Dialog oder auch durch Regionalversammlungen gefeilt werden, wenngleich alles mit der sportlichen Entwicklung steht und fällt.
Mein Hinrunden-Fazit fiel fatal aus und barg die unmissverständliche Forderung nach charakterstarken Neuzugängen, vorrangig im zentralen Mittelfeld, in sich. Bislang ist eher das Gegenteil der Fall, der VfB gab Spieler wie Sunjic, Sama und Besuschkow ab und verstärkte sich lediglich mit Julian Green. Dass bisweilen auch bei Abgängen von „Verstärkungen“ geredet werden kann, begründet sich damit, wenn man unzufriedene Spieler mit Stinkstiefelpotential von der Kaderliste bekommt und dadurch schon die Stimmung im Team angehoben wird. Unzufrieden waren die Genannten allesamt, ob sie auch schlechte Stimmung verbreiteten vermag ich nicht zu beurteilen.
Aus der Unterredung mit Dietrich blieb ferner hängen, dass Hannes Wolf davon überzeugt sei, mit diesem Kader den Aufstieg zu schaffen, unabhängig davon, ob noch Neuzugänge verpflichtet werden können oder nicht.
Auf meine Frage, ob denn noch der eine oder andere neue zu erwarten sei, antwortete Dietrich dann auch vorsichtig, für mich jedoch absolut plausibel und nachvollziehbar. Der VfB sei gewillt auch nicht nur einen einzigen Euro bei Transfergeschäften zu verschwenden. Man werde nur Spieler holen, die die Mannschaft sofort weiterbringen und keine für die Bank. Bankdrücker habe man bereits genügend, die seien es gewohnt, während Neue Unzufriedenheit und Unruhe hineinbrächten.
Ferner sei es zum jetzigen Zeitpunkt schwierig Spieler zu finden, die unser Team sofort verstärken, im Fall des Aufstiegs auch bundesligatauglich und gleichzeitig bereit wären, auch ein zweites Jahr zweite Bundesliga zu spielen.
Julian Green habe man nur geholt, weil ihn Marc Kienle aus seiner Zeit als Jugendleiter bei den Bayern kennt und Jürgen Klinsmann als US-Nationaltrainer, der noch immer nah am Verein ist, nur Gutes über den Jungen zu berichten gehabt habe.
Dies unterstreicht doch unser aller Forderung, künftig neben den fußballerischen Fähigkeiten vor allem auf die charakterlichen Eigenschaften zu achten und Schnellschüsse zu vermeiden. Unter dieser Prämisse kann ich mittlerweile gut ohne weitere Neuzugänge leben, bevor man sich Legionäre wie vor Jahresfrist Artem Kravets ins Haus holt, die einzig und allein an ihrem Gehaltsscheck interessiert sind und dem Gesamtgefüge eher schaden.
Zudem habe ich großes Vertrauen in die Arbeit von Hannes Wolf und traue es ihm zu, dass er aus dieser jetzt bestehenden Truppe das Bestmögliche herausholen und der Aufstieg in einer relativ schwachen 2. Liga auch ohne weitere Zukäufe ohne Wenn und Aber gelingen wird.
Ich ging mit einem guten Gefühl aus diesem Austausch und hoffe, dass sich dieses nicht als trügerisch erweist. Es ist bei weitem nicht so, dass ich nicht auch gerne noch einen namhaften Neuzugang hätte, bin aber Realist genug einzusehen, dass die Möglichkeiten auf dem Wintertransfermarkt stark beschränkt sind und zuerst die Bundesligisten zugreifen dürfen, bevor die unterklassigen Teams dran sind.
Zum Abschluss dieser Unterredung stand uns in kleinem Kreis dann noch Jochen Röttgermann Rede und Antwort und erweckte dabei ebenfalls einen lockeren und zugänglichen Eindruck.
Mein Eindruck von Wolfgang Dietrich nach dieser Runde hat sich etwas gebessert. Es scheint wirklich so zu sein, dass sich der Verein öffnet und transparenter werden möchte, wenn einem angeboten wird, jederzeit um ein persönliches Gespräch bitten zu können, was sowohl Dietrich als auch Röttgermann betraf.
Dietrich erweckte immerhin den Eindruck, sich Sorgen und Nöte von Fans und Mitgliedern anhören und sich ihrer annehmen zu wollen. Ob diese neue Offenheit nur ein Strohfeuer ist und wir Dietrich, wie viele befürchten, erst noch richtig kennen lernen werden, wird die Zukunft erweisen.
Ich für meinen Teil werde seinen weiteren Werdegang weiterhin misstrauisch und kritisch begleiten, hoffe aber, dass er die anfänglichen Zweifel zerstreuen kann und der Verein endlich zur Ruhe kommt.
Noch aber sind meine größten Hoffnungsträger in diesem Verein Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf, die schon jetzt, nach kurzem Wirken, einen neuen Geist hineinbrachten und weniger reden als dass sie schaffen. Es siecht schwer nach einem konsequenten Plan aus, was sie bisher bewerkstelligt haben. Der Kaderumbau ist, trotz beschränkter Möglichkeiten jetzt im Winter, in vollem Gange und wird sicherlich im Sommer sehr gravierend ausfallen. Diesen Herren sollte unser volles Vertrauen gelten, auch wenn wir, wie zum Ende der Vorrunde erlebt, vor Rückschlägen auch in Zukunft nicht gefeit sein werden. Die 2. Liga bietet die große Möglichkeit, den Verein zu konsolidieren und gleichzeitig auf ein solides Fundament zu stellen, und das im Einklang mit dem großen Ziel direkter Wiederaufstieg.
Vor allem Wolf erweckt mir den Eindruck, dass bei allem, was er tut, ein Plan dahinter steckt und er nichts dem Zufall überlässt. Trainer sind bei uns in den letzten Jahren bereits genug gescheitert, es ist an der Zeit, dass wir mal einem vertrauen und nicht gleich wieder alles schlecht reden, wenn etwas auf Anhieb nicht wie geschnürt läuft. Auch das ist ein Fazit unseres Portugal-Trips, jeder, wirklich jeder schwärmt in höchsten Tönen von Hannes Wolf, so dass auch wir Fans einen Teufel tun sollten, ihn wie viele seiner Vorgänger vom Hof zu jagen, bevor seine Mission hier nicht erfüllt ist. In einigen Zeitungsartikeln vor Weihnachten wurde bereits Kritik an Wolf laut, aus der Fanszene weniger. Es gilt auch hier zusammen zu stehen und dem Neuaufbau die nötige Zeit einzuräumen, ohne bereits jetzt wieder Köpfe zu fordern. Das sollte uns die jüngere Vergangenheit gelehrt haben, es kommt selten was noch Besseres nach!
Nach Lagos ist vor St. Pauli. Ich zähle bereits die Tage, bis es mal wieder um Punkte am Millerntor geht. Dort erwartet den VfB gleich die erste Reifeprüfung bei einem Gegner, der zum Ende der Hinrunde Morgenluft schnupperte und sich im Winter ordentlich verstärkt hat. Jedem, der nur annähernd mit Fußball etwas am Hut hat, ist es klar, dass es in St. Pauli nur über den Kampf gehen wird und man Nehmerqualitäten an den Tag legen muss. Dort kann sich zeigen, ob das Team aus dem Würzburg-Debakel seine Lehren gezogen hat, wenngleich sich die Mannschaft auch (fast) ohne Neuzugänge verändert hat. Die Neubesetzung des Mannschaftsrats gibt eine klare Hierarchie vor, Ginczek ist wieder fit und Anto Grgic scheint sich mittlerweile (endlich) ins Team gespielt und die Variationsmöglichkeiten im Mittelfeld erhöht zu haben.
Ich freue mich sehr auf kommenden Sonntag, schätze ich nicht nur die einzigartige Atmosphäre am Millerntor, sondern hege auch Sympathien für den Kiez-Club und habe einige Freunde dort.
Diese Freundschaft wird jedoch während der 90 Minuten ruhen, spielen wir in der gleichen Liga gibt es auch für mich selbstredend nur den VfB und nichts Anderes. St. Pauli wünsche ich zwar den Klassenerhalt, jedoch keine Punkte am Sonntag. Eher im Gegenteil, hat St. Pauli der gute Auftritt im Neckarstadion zu Saisonbeginn und die späte und unglückliche Niederlage im weiteren Saisonverlauf eher geschadet, hoffe ich nun auf einen desaströsen Auftritt der Kiez-Kicker mit gegenteiligem weiteren Verlauf in der Rückrunde.
Der VfB kann sich wieder großer Unterstützung sicher sein, bei keinem anderen Spiel in dieser Runde zuvor schien die Kartennot so groß gewesen zu sein, wie vor dem Aufeinandertreffen mit dem FC St. Pauli. St. Pauli ist nicht nur wegen des Stadions und der Atmosphäre ein Highlight im Fußballkalender, nein, auch die Stadt Hamburg lockt und ist jederzeit eine Reise wert.
So bemüht sich scheinbar jedermann um Karten. Viele, die jetzt noch händeringend nach Karten suchen, sind sogenannte Rosinenpicker, die diese eine Spiel auswärts machen wollen, die man sonst und zu ungünstigeren Anstoßterminen aber eher selten antrifft. Das sind dann auch jene, die die horrende Preistreiberei auf den einschlägigen Internetplattformen am Leben erhalten, indem sie für ihr einziges Auswärtsspiel bereit sind, tief in die Tasche zu greifen. Jedem dieser „Fans“ sei angeraten, überteuert erworbene Tickets dem Verein zu melden, damit dieser gegen den Verkäufer vorgehen kann. Mittlerweile wird jedes verkaufte Ticket mit der Seriennummer registriert, so dass jenen Leuten, die sich auf Kosten echter Fans eine goldene Nase verdienen möchten, der Garaus gemacht werden kann und sie von weiteren Ticketkäufen ausgeschlossen werden können. Es wäre wünschenswert, ginge der Verein konsequent gegen sie vor.
Dies ist jedoch nur ein Randthema in der noch immer vorherrschenden Euphorie. Die VfB-Gemeinde ist heiß auf den Rückrundenstart, heiß auf unser vermeintlich letztes Halbjahr in der 2. Liga. Um diese Euphorie am Leben zu erhalten, wäre ein ordentlicher Start in St. Pauli und bei den darauffolgenden zwei Heimspielen gegen Düsseldorf und Sandhausen Gold wert.
Ich bin zuversichtlich, dass Wolf seine Jungs langsam dort hat, wo er sie haben möchte und die Mannschaft nach und nach kapiert, was Wolf von ihr erwartet. Dies ist meine Erkenntnis des Trainingslagers, es kann auch ohne weitere Neuzugänge funktionieren, wenn ein Rädchen ins andere greift und Wolf die vorhandene Truppe besser gemacht hat. Unser bester Fußballlehrer seit langem ist Wolf für mich jetzt schon, hat er es geschafft, in der Winterpause aus diesem Spielermaterial eine funktionierende und ordentlich spielende Mannschaft zu formen, hat er das Zeug ein wirklich Großer zu werden. Wir werden sehen!