11. Juli 2010

3:2! Rang drei für die Löw-Elf

Die deutsche Nationalmannschaft beendet die Weltmeisterschaft in Südafrika auf Rang drei. Nach einem temporeichen Schlagabtausch gegen Uruguay setzte Khedira per Kopf den Schlusspunkt und drehte die Partie, in der die Südamerikaner zwischenzeitlich 2:1 geführt hatten. Thomas Müller und Jansen hatten für die weiteren Treffer einer aufopferungsvoll kämpfenden DFB-Auswahl gesorgt, die wie 2006 die Endrunde als Dritter abschließt.

Bundestrainer Joachim Löw gab im Vergleich zum 0:1 im Halbfinale gegen Spanien wegen dem Ausfall des eigentlich vorgesehenen Wiese (Schleimbeutelentzündung) Bayern-Schlussmann Butt für Stammkeeper Neuer Gelegenheit zu seinem ersten WM-Einsatz überhaupt. Er musste sowohl auf die grippekranken Lahm und Podolski als auch Klose (Rückenbeschwerden) verzichten und tat dies freiwillig in Bezug auf Trochowski (Bank). Aogo, Jansen, Müller nach abgelaufener Gelbsperre sowie Cacau rückten in die Startelf.

Uruguay Coach Oscar Tabarez brachte nach dem 2:3 gegen die Niederlande drei Neue: Kapitän Lugano hatte seine Kniebschwerden auskuriert, Fucile seine Gelb- und Suarez seine Rotsperre abgesessen. Gargano, Victorino und Alvaro Pereira nahmen auf der Bank Platz.

Trotz der vielen Änderungen im Team begann die DFB-Auswahl in Port Elizabeth beherzt und setzte Uruguay unter Druck. Dank Müller zappelte der Ball auch früh im Netz, doch der vermeintliche Torschütze stand zuvor im Abseits. Uruguay antwortete mit zwei Forlan-Freistößen, das deutsche Team behielt aber das Heft mit schnellem Direktspiel in der Hand. Glück hatte Uruguay in der zehnten Minute, als ein Friedrich-Kopfball nach einer Ecke am Querbalken landete.

Die Südamerikaner versuchten über Kampf ins Spiel zu finden, konnten die beiden Torjäger Forlan und Suarez – die bei Mertesacker und Friedrich zunächst gut aufgehoben waren – nicht entscheidend in Szene setzen. Deutschland trat weiter mutig auf, setzte mehr Akzente und wurde nach knapp 20 Minuten belohnt. Torwart Muslera ließ einen Schweinsteiger-Knaller aus 30 Metern nach vorne abprallen, Müller war mit seinem fünften Turniertor zur Stelle.

Die DFB-Elf hatte alles im Griff und ließ Uruguay nicht zur Entfaltung kommen. Die “Celeste” kam aber dennoch in der 28. Minute zum überraschenden Ausgleich. Perez luchste Schweinsteiger den Ball ab, die aufgerückte Abwehr wurde durch den Pass auf Suarez ausgehebelt. Der bediente Cavani – 1:1!

Bei strömendem Regen versuchte das Team von Joachim Löw in der Folge immer wieder über Özil das Spiel in die Spitze zu forcieren – ohne Erfolg. Gegen die bissige Defensive der Südamerikaner fehlten der finale Pass und das Durchsetzungsvermögen in den Zweikämpfen. So kreierte die DFB-Elf kaum Chancen und hatte Glück, dass Cavani nach einem Konter zu Unrecht zurückgepfiffen wurde (39.) und Suarez bei einem schnellen Gegenstoß den Ball frei vor Butt nicht im Tor unterbrachte (43.).

Unverändert ging es in die zweite Halbzeit, auch am Spiel selbst änderte sich wenig. Deutschland hatte ein optisches Übergewicht, fand aber nachwievor gegen die resoluten Uruguayer kein probates Mittel, um zu Torchancen zu kommen. Zu umständlich agierte die DFB-Elf, wie es gehen kann zeigte der Weltmeister von 1930 und 1950. Konnte Butt noch die Doppelchance durch Cavani und Suarez vereiteln, so war er bei Forlans Volley-Aufsetzer nach einer schönen Kombination machtlos (51.). Die Antwort ließ dank eines Fehlers von Muslera nicht lange auf sich warten. Jansen nickte eine weite Flanke Boatengs, die der Torwart unterlaufen hatte, zum 2:2 ins Tor (56.).

Es blieb ein offener Schlagabtausch. Beide Teams hielten das Tempo hoch und suchten die Entscheidung. Özil verdribbelte sich bei einem Konter (58.), Cacau hatte das Visier zu hoch eingestellt (71.) und Kießling scheiterte am gut reagierenden Muslera. Auf der anderen Seite musste Butt bei einem Schuss von Suarez ebenso sein ganzes Können aufbieten wie bei dem Versuch Forlans aus spitzem Winkel (65.).

In der 83. Minute landete der Ball dann doch im Tor – in dem der Tabarez-Elf! Nach einer Ecke brachte Uruguay den Ball nicht aus der Gefahrenzone, Khedira sorgte mit einer Kopfball-Bogenlampe für das 3:2 – die Entscheidung. Forlan setzte in der Nachspielzeit einen Freistoß zwar noch an die Latte, Deutschland ist aber letztlich verdienter WM-Dritter. Die DFB-Elf, die bei der Endrunde zu überzeugen wusste, bestreitet bereits am 11. August ein Freundschaftsspiel in Kopenhagen gegen Dänemark.

(kicker.de)

VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 10.0/10 (1 vote cast)
VN:F [1.9.7_1111]
Rating: +1 (from 1 vote)
5. Juli 2010

Auf dem Weg zum 4. WM-Titel

Das beste Deutschland aller Zeiten?!

Die größten DFB-Teams hatten immer jeweils ein herausragendes Merkmal. Das aktuelle nicht. Sein Erfolg hat viele Facetten. Ist es jetzt schon besser als Beckenbauer und Co.? Wenn man derzeit über die deutsche Nationalmannschaft nachzudenken beginnt, wird man schnell stutzig und auch ein bisschen verwirrt. Wenn sich der Nebel dann allmählich lichtet und man die beiden letzten Meisterwerke und überhaupt das gesamte WM-Turnier Revue passieren lässt, dann hat man plötzlich sie im Sinn: Gerd Müller und Günter Netzer. Wie sie sich durch die Schweizer Abwehr brillieren, Hacke Müller, Spannstoß Netzer, Tor. Das schönste des Jahres 1972. Es war jenes magische Jahr, das aus den frisch gekürten Europameistern die Mannschaft des Jahrhunderts machte.

Mit Maier, Beckenbauer, Breitner, Overath, Netzer, Müller. Und die zwei Jahre später auch Weltmeister werden sollte. Den schönsten und nebenbei auch erfolgreichsten Fußball aller Zeiten hat Deutschland mit dieser Mannschaft gespielt. Gleichzeitig Welt- und Europameister war eine DFB-Auswahl seither nie mehr. Aber jetzt gibt es tatsächlich eine Gruppe, die der Mystik der 70er-Helden ihren Geist austreiben kann. Oder vielleicht schon ausgetrieben hat. Denn noch nie wurde Deutschland außerhalb seiner Grenzen so viel Respekt und Beifall entgegengebracht. Für das Spektakel waren bisher fast immer andere zuständig, Deutschland beschränkte sich zumeist auf den Gewinn der Titel. Jetzt entbrennt eine hitzige Diskussion, ob diese neue deutsche Nationalmannschaft tatsächlich schon besser sein kann als ihre erfolgreichen Vorgänger, zu denen sicherlich auch die Mannschaften von 1990 und 1996 zu zählen sind. Jede dieser Mannschaften hatte eine besonders herausstechende Eigenschaft. Das Team um Beckenbauer war die spielerisch beste bis zur laufenden WM, die 90er Weltmeister um Lothar Matthäus hatten die größte Dynamik, Berti Vogts’ Europameister die größte Willensstärke. Aber selbst in diesen Paradedisziplinen kann ihnen Joachim Löws Truppe zumindest das Wasser reichen.

Das neue System:

Die Mannschaft hat eine feste Spielidee. Angriff als erste Option, ohne dabei aber die Grundlagen in der Defensivarbeit zu vergessen. Löw hat sich seit zwei Jahren seinen Stamm von Spielern ausgesucht, die nicht unbedingt die Besten der letzten Saison waren, sondern am besten in das Kollektiv und auf den für sie vorgesehenen Platz passen. Dafür gab es reichlich Kritik, selbst von Trainerkollegen aus der Liga, die ja eigentlich wissen sollten, dass Form jederzeit Klasse schlagen kann – sofern ein durchdachter Plan dahinter steckt. Vor zwei Jahren war das 4-4-2 mit Doppel-Sechs das bevorzugte Spielsystem. Über das 4-5-1 ging es fließend in das derzeitige 4-2-3-1 über, das deutlich offensiver ausgerichtet ist. Das ursprüngliche System bleibt als Schablone zurück, die man jederzeit falls nötig über die Mannschaft stülpen könnte. “Eine Rückkehr zum 4-4-2 ist immer eine Option”, sagt Löw. Auch wenn er vom erfolgreichen System derzeit bei der WM wohl ziemlich sicher nicht mehr abrücken wird. Deutschland ist flexibel, kann auf den anstehenden Gegner reagieren und auf bestimmte Spielsituationen.

Das Offensivspiel:

Seit Jürgen Klinsmann pflegt Deutschland einen anderen Stil. Allerdings war das Klinsmann-Credo noch sehr auf überfallartiges Attackieren ausgelegt – so sehr, dass ihn seine eigenen Spieler einige Male zügeln mussten, nicht zu naiv-offensiv in ein Spiel zu gehen. Löw hat schon damals die Hauptarbeit im Hintergrund gemacht und die Dinge im Laufe seiner vierjährigen Amtszeit verfeinert. Vor allem die letzten Monate waren von ganz entscheidender Bedeutung. Deutschland spielt einen präzisen, ausgeklügelten Ball. Ohne große Hektik, dafür mit jeder Menge Variationen und Kreativität. “Fußball ist ein Kopfspiel”, sagt Bayern-Trainer Louis van Gaal. Vom Niederländer scheint sich Löw in der Erschaffung und Umsetzung seiner Idee jede Menge abgeschaut zu haben. In fünf WM-Spielen hat die DFB-Elf jetzt 13 Tore erzielt, dreimal dabei vier in einem Spiel. Lediglich die Mannschaft der 70er Jahre kann der Offensivpower der heutigen Mannschaft noch das Wasser reichen. Sonst gab es in der jüngeren Geschichte keine Mannschaft, die offensiv stärker gewesen wäre.

Die Harmonie im Team:

Nach Michael Ballacks Verletzung entstand schnell ein kaum zu schließendes Machtvakuum innerhalb der Mannschaft. Die Hierarchie, die sich seit mehr als acht Jahren um Ballack herum aufgebaut hatte, krachte in sich zusammen. Die Kapitänsfrage war schnell geklärt, wenn auch mit einigen Nebengeräuschen. Aber schnell war erkennbar, dass diese Mannschaft gar keinen großen Anführer mehr braucht. Ihr reichen die fünf kleinen, “halben” Anführer aus dem Mannschaftsrat, die mehr Demokratie zulassen und mehr auf Augenhöhe mit den vielen jungen Spielern agieren, als es zuvor der Fall war. Die Älteren wurden schon Wochen vor dem Turnier nicht müde, den ausgezeichneten Zusammenhalt und die Chemie innerhalb des Kaders zu loben. Die Mannschaft von 1996 und vielleicht auch die von 1990 hatten einen ähnlichen Teamgeist – angesichts der sehr ungewöhnlichen Freizeitverhältnisse in der Einöde des Velmore Grand Hotels im südafrikanischen Niemandsland aber eine außergewöhnliche Leistung.

Das Trainerteam:

Löw hatte als Chef einige sehr brenzlige Situationen zu überstehen seit der EM 2008. Zuerst der Streit mit Ballack und Frings, die Demission Kuranyis, Ärger mit der Liga, die andauernden Personaldiskussionen und zuletzt die geplatzte vorzeitige Vertragsverlängerung. Aber er hat sich durchgesetzt, ist seinen Weg gegangen. Löw hat enorm dazugelernt in den letzten Jahren, auch im Bezug auf seinen Trainings- und Coaching-Stil. Die Mannschaft scheint auf den Punkt topfit, die Trainingssteuerung der Fitnesscoaches sitzt. Dazu kommen die Analysen von Urs Siegenthaler, der den kommenden Gegner in zahllosen kleinen Häppchen serviert und Löw sich davon in Absprache die wichtigsten Details herauspickt. In der Gesamtheit hatte der DFB nie mehr seiner so genannten Funktionäre und ein größeres Funktionsteam bei einem Endturnier dabei. Die vielen Aufwendungen scheinen sich aber bezahlt zu machen. Zumal auch hier ein Rad ins andere greift.

Die Einzelspieler:

Um es kurz zu machen: Bastian Schweinsteiger ist auf dem besten Weg, der Spieler des Turniers zu werden. Kein anderer leitet seine Mannschaft wie der Münchener, kein Xavi, kein Gerrard, kein Messi, kein Lucio. Dazu kommen in den WM-Neulingen Mesut Özil und Thomas Müller zwei Kandidaten für den besten Nachwuchsspieler des Turniers. Müller dürfte die Wahl bei sieben Scorerpunkten aus fünf Spielen längst gewonnen haben. Eine Umfrage des größten südafrikanischen Sportsenders Supersport sieht derzeit Müller mit großen Vorsprung vor Özil. Danach kommen Ayew (Ghana), Suarez (Uruguay) und dos Santos (Mexiko). Natürlich gab es ähnliche Ehrungen früher noch nicht. Der letzte, der als der wertvollste Spieler einer WM ausgelobt wurde, war Matthäus 1990. Der hatte da noch den jungen Klinsmann als aufstrebenden Star an seiner Seite.

Die Perspektive:

Auf der letzten Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel gegen Australien machte Löw ein bisschen den Eindruck, als würde er die Mannschaft quasi schon vorbeugend für kommende Turniere groß reden. Es hörte sich so an, als würde der Bundestrainer über einen Perspektivkader reden, dem ab der EM 2012 ganz sicher die Zukunft gehöre – dann aber wohl eher nicht mehr unter seiner Regie. Jetzt schickt sich der Perspektivkader an, Weltmeister zu werden. Die jüngste DFB-Auswahl seit 76 Jahren steht in der Tat vor einer großen Zukunft. Aber wenn die Chance schon mal da ist… Verglichen mit den anderen großen deutschen Mannschaften wird dieses Team wohl noch einige Jahre mit demselben Stamm zusammenspielen können. Was das Deutschland aus 2010 aber noch von seinen Vorgängern unterscheidet: Dieses Team hat noch nichts gewonnen. Und erst Titel machen aus talentierten Mannschaften große Mannschaften.

(spox.com)

VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 10.0/10 (1 vote cast)
VN:F [1.9.7_1111]
Rating: +1 (from 1 vote)
30. Juni 2010

Thomas Müller im Porträt

Der Raum als Spielwiese

Nicht Mittelfeld, nicht Sturm. Mal schlitzohrig, mal grundsolide. Thomas Müller ist ein Typ, der schwer zu fassen ist. Genauso wie sein Spiel. Beim 4:1 gegen England im WM-Achtelfinale sorgte der 20-Jährige mit zwei Toren für Furore. Es wird garantiert nicht das letzte Mal gewesen sein.

Uli Hoeneß hat ja jetzt das Internet entdeckt. Der Bayern-Präsident hat sich jahrelang erfolgreich gegen das neue Medium gewehrt, hatte nicht mal einen Rechner in seinem Zimmer an der Säbener Straße. Jetzt nutzt Hoeneß aber das Vehikel des World Wide Web, um eine fesche Bratwurst-Burger-Geschäftsidee an den Mann und vielleicht auch die Frau zu bringen. Hoeneß forciert sogar das Stilmittel des aggressiven viralen Marketings, er ist voll eingestiegen in die Materie.

“Auch ohne Müller gut genug”

Ein ziemlicher Sinneswandel für einen Prinzipienreiter wie den 58-Jährigen, der vor einem halben Jahr noch nahezu undenkbar war. Aber vor einem halben Jahr hatte Hoeneß ja auch noch Dinge gesagt wie jene hier: “Da schießt einer mal drei Tore und soll dann gleich in die Nationalmannschaft. Wenn ich früher ein ganzes Jahr lang so gespielt hätte, hätte mich Bundestrainer Helmut Schön zur Seite genommen und gesagt: ‘Wenn Sie so weiterspielen, kommen Sie demnächst wieder zu uns.’ Die Nationalelf ist auch ohne ­Müller gut genug.”

Ein typischer Hoeneß. Immer in weiser Voraussicht, immer besorgt um seine jungen Spieler, immer wie ein gestrenger, aber auch gerechter Vater, der seinem pubertierenden Sohn den Besuch der Disco verbietet. Aus reiner Fürsorge und um nichts zu überstürzen. Aber wahrscheinlich wusste auch Hoeneß damals noch nicht, mit wem er es bei diesem Thomas Müller genau zu tun hat.

Von der D-Jugend zu den Profis

Seit zehn Jahren spielt Müller für die Bayern. Vom Rekordmeister wurde er ausgebildet, er gehört jener Generation von Spielern an, die in den Genuss hervorragender Förderung kamen, seit der DFB nach dem desaströsen EM-Aus 2000 endlich ein Umdenken in der Talentsichtung und -förderung angeleiert hatte.

Vor knapp einem Jahr holte ihn Louis van Gaal aus der zweiten Mannschaft zu den Profis. Schon nach wenigen Trainingseinheiten hatte der Niederländer das Potenzial gesehen, das in Müller schlummert und das seine Idee des neuen Bayern-Spiels mit einer wichtigen Facette anreichern würde.

“Auch wenn Ribery und Robben beide fit sind – Müller wird bei mir immer spielen”, hatte van Gaal in der Hinrunde gesagt. Da durchschaute aber noch nicht jeder den Plan des Trainers.

Ein gefährlicher Schleicher

Zumal van Gaal selbst da noch mächtig unter Druck stand, nachdem die Bayern zweimal gegen Girondins Bordeaux verloren hatten und vor dem Aus in der Champions League standen. Müller flog damals in Bordeaux nach zwei ungestümen Attacken vom Platz, was van Gaals stures Ansinnen noch unglaubwürdiger erscheinen ließ. Aber der Trainer sollte Recht behalten und Müller seinen Weg machen. Im wahrsten Sinnes des Wortes.

Denn wie der sich auf dem Platz bewegt, ist die eigentliche Sensation neben den Hard Facts wie Toren oder Vorlagen. Müller ist gewitzter als gestandene Abwehrreihen, wenn er sich in deren Rücken in die Lücken schleicht.

Im Spurt über 40 Meter macht er dann die Strecke, um einen eigentlich harmlosen Einwurf 30 Meter vor dem Tor in eine veritable Torchance zu verwandeln, weil er gedankenschneller reagiert und hinter die feindlichen Linien marschiert. Dieser kühle Witz gepaart mit einem ungeheuren Gespür für Spielsituationen macht Müller so wertvoll.

Wie Litmanen bei Ajax

Van Gaal hatte bei seiner ersten erfolgreichen Station bei Ajax Amsterdam einen ähnlich veranlagten Spieler. Jari Litmanen war der heimliche Star unter den Overmars, Seedorfs, de Boers oder Kluiverts. Kein Mittelfeldspieler und kein Stürmer. Eine Zwitterform ohne klar definierten Arbeitsplatz in einem System, das genau diesen Typus Spieler benötigt.

“Ich bin taktisch gut ausgebildet worden und sehe, was auf dem Platz abläuft. Ich bin nicht so viel am Spiel beteiligt, habe nicht so viele Ballkontakte. Aber ich kann geduldig auf den richtigen Moment warten und suche mir die Situationen aus, wenn es Richtung Tor geht. Ich will im richtigen Augenblick zur Stelle sein”, verriet Müller im Gespräch mit SPOX. “Ich kann mir im Rücken der Gegner das Spiel anschauen und meine Lücken suchen, um anspielbar zu sein.”

Der Raum als Spielwiese

Das setzt eine Menge Spielverständnis und Antizipationsfähigkeit voraus, besonders bei einem erst 20-Jährigen. Das Gefühl für die Spielsituation hat er aber einfach in sich.

“Man kann so etwas auch in der Jugend lernen, wenn einem gesagt wird, wo man am besten wann hinläuft. Aber letztlich kommt es doch von innen. Es ist wohl ein Talent, das man hat”, sagte er nach dem 4:1 gegen England in Bloemfontein.

Müller ist kein Dribbler wie Cristiano Ronaldo und er ist auch nicht der gnadenlose Vollstrecker wie sein berühmter Namensvetter Gerd, der aus Nichts zwei Tore machen konnte. “Das 3:1 kann man auch halten und beim 4:1 – wer den nicht macht, der hat in der Nationalmannschaft nichts verloren”, kommentierte er seine beiden Treffer gegen England nüchtern und durchaus selbstkritisch.

Seine Spielwiese sind die knappen Räume, die er entweder mit einem seiner Läufe für die Mitstreiter öffnet oder aber im Vollsprint mit Leben füllt. Und er hat ein tolles Timing für den Pass im richtigen Moment.

Bald bester Nachwuchsspieler der WM?

Sechs Scorerpunkte, aufgeteilt auf je drei Tore und drei Assists, stehen bei der WM zu Buche. Der Titel des besten Nachwuchsspielers des Turniers wird wohl Müller gehören. Die Nationalmannschaft würde auch ohne ihn noch existieren, so viel steht fest. Aber man kann sich derzeit nur schwer vorstellen, dass sie auch gut genug ohne ihn wäre.

Joachim Löw hat für seine Vorstellung des deutschen Offensivspiels den perfekten Spieler gefunden. Im März durfte Müller dann doch – Hoeneß’ mahnenden Worten zum Trotz – zum ersten Mal im DFB-Dress auflaufen. Argentinien siegte 1:0, Deutschland war im Prinzip ohne Chance.

Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel saß Müller dann bereit, um die Fragen zu seinem Debüt in seinem Stadion in München zu beantworten. Diego Maradona erkannte das neue Gesicht der Deutschen nicht und scheuchte ihn vom Podium. Vermutlich wird auch Diegito mittlerweile von Müllers Existenz erfahren haben

(spox.com)

VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 9.0/10 (1 vote cast)
VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 0 (from 0 votes)
28. Juni 2010

Müller schießt England ab


Deutschland setzte sich im Klassiker gegen England eindrucksvoll mit 4:1 durch und setzte damit ein ganz dickes Ausrufezeichen. Wieder einmal war es ein geschichtsträchtiges Spiel, in dem Klose mit der brasilianischen Fußball-Legende Pele gleichzog, England erstmalig vier Tore gegen Deutschland kassierte, aber auch vom Schiedsrichter benachteiligt wurde – außerdem spielte sich Thomas Müller bei der Gala-Vorstellung ins Rampenlicht.

Bundestrainer Joachim Löw brachte Klose, der beim 1:0 gegen Ghana Gelb-Rot-gesperrt gefehlt hatte, wieder von Beginn an. Cacau musste wegen einer Bauchmuskelzerrung passen. Die angeschlagenen Schweinsteiger (muskuläre Probleme) und Boateng (Wade) wurden rechtzeitig fit. Englands Coach Fabio Capello hingegen setzte auf exakt dieselbe Elf, die 1:0 gegen Slowenien gewonnen hatte.

Der gegenseitige Respekt war beiden Mannschaften von Beginn an anzumerken. So tasteten sich die Kontrahenten in der ersten Viertelstunde weitestgehend ab und waren hauptsächlich auf Fehlervermeidung bedacht. Das aktivere und spielerisch bessere Team war dabei die DFB-Auswahl. Allerdings fehlte es den Löw-Schützlingen zunächst an Zug zum Tor, so dass Özils Chance vom rechten Fünfereck, die James in der vierten Minute parierte, lange Zeit die einzige ernsthafte Möglichkeit des dreifachen Weltmeisters war.

Doch auch von den Engländern, die stark über die Physis kamen und in den Zweikämpfen sehr präsent waren, kam offensiv kaum etwas. Dies lag vor allem an zahlreichen Fehlpässen und ideenlosen Angriffsversuchen. Meist ging es durch die Mitte, während über die Außen nahezu nichts kam. In der 20. Minute leitete schließlich ein präziser Abstoß von Neuer die Führung ein: Der Ball landete bei Klose, der in seinem 99. Länderspieleinsatz Upson abschüttelte und aus zehn Metern ins rechte untere Eck einnetzte (20.). Der Bayern-Stürmer stand beim Zuspiel zwar im Abseits, allerdings existiert dieses laut Reglement bei Abstoß, Ecke und Einwurf nicht. Folglich gab an seinem 50. Länderspieltreffer und seinem 12. WM-Tor nichts zu mäkeln. Zugleich zog Klose damit in der ewigen Torjägerliste bei Weltmeisterschaften mit Brasiliens Fußball-Legende Pele nach Treffern gleich.

Die “Three Lions” reagierten rasch und intensivierten ihre Angriffe. Hierdurch eröffneten sich Freiräume für die deutschen Akteure, die teils mit sehenswerten Kombinationen bei Kontern weiter die besseren Gelegenheiten kreierten. In der 31. Minute scheiterte Klose aber noch an James, während es nur eine Minute später Podolski besser machte. Müller bewies tolle Übersicht und passte über Johnson hinweg nach links zum Kölner, der aus spitzem Winkel James tunnelte und ins rechte Eck einschoss.

Deutschland schien alles in der Hand zu haben, doch England schaffte noch den Anschlusstreffer: Gerrard flankte von rechts in die Mitte, wo Mertesacker und Boateng Upson nicht angingen. Der Innenverteidiger stieg hoch und köpfte aus fünf Metern unter die Latte ein. Auch Neuer sah dabei nicht wirklich gut aus. Nur eine Minute später fiel sogar noch das 2:2! Lampard zog aus 17 Metern ab. Das Leder prallte an die Unterkante der Latte und klar hinter die Linie, von dort erneut an die Latte und anschließend in die Arme von Neuer. Zum Glück für das DFB-Team verweigerte Schiedsrichter Jorge Larrionda aus Uruguay den klaren Treffer, so dass die Löw-Elf mit der knappen 2:1-Führung in die Pause gehen durfte.

Ohne personelle Wechsel ging es nach dem Seitenwechsel, dafür mit einer DFB-Elf, die sich zu weit nach hinten zurück zog und weite Teile des Feldes den Engländern überließ. Diese nahmen das Angebot an und näherten sich durch Milner (48.) und Gerrard (49.) dem gegnerischen Gehäuse an. Kurz darauf hatte Lampard mit einem gewaltigen Freistoß aus 35 Metern erneut Pech, als das Leder nur an die Oberkante der Latte knallte (52.).

Der Druck der Briten wurde von Minute zu Minute größer, während Deutschland nur noch selten für Entlastung sorgen konnte. Allerdings stellte sich die deutsche Abwehr zusehends besser auf die wütenden Angriffe der Engländer ein und sorgte schließlich in 67. Minute vor die Vorentscheidung. Bei einem Freistoß waren die “Three Lions” zu weit aufgerückt und wurden eiskalt ausgekontert: Müller passte auf Schweinsteiger, der Johnson austanzte und zum mitgelaufenen Youngster zurückpasste. Müller vollendete schließlich aus 15 Metern halbrechter Position fulminant ins kurze Eck.

Nur zwei Minuten danach hätte Müller sein Torekonto ausbauen können, dieses Mal zielte er aber ein Stück zu weit nach rechts. In der 70. Minute machte es Müller wieder besser: Bei einem Konter ließ Özil Barry ganz locker stehen, drang dann in den Strafraum ein und legte quer zu Müller – 4:1. England zeigte sich danach geschockt, nichts war mehr vom zuvor an Tag gelegten Offensivdrang zu sehen. Deutschland hatte nun keine Mühe mehr, die Begegnung zu kontrollieren. Neuer bekam nur noch einmal etwas zu tun: Zehn Minuten vor dem Ende hatte Gerrard aus 14 Metern gegen den Schalker-Keeper das Nachsehen. Das war dann aber auch die letzte nennenswerte Aktion der Partie.

Deutschland trifft nun am kommenden Samstag, den 3. Juli um 16.00 Uhr in Kapstadt im Viertelfinale auf Argentinien, das Mexiko mit 3:1 ausschalten konnte – eine Neuauflage der WM 2006!

(kicker.de)

VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 0.0/10 (0 votes cast)
VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 0 (from 0 votes)
26. Juni 2010

Bloß kein Druck

Das Feuerwerk ist schon von weitem zu sehen. Bunte Raketen steigen in den Nachthimmel von Pretoria, als sich der Bus des deutschen Nationalteams am späten Mittwochabend dem Mannschaftshotel nähert. Und vor dem Eingang warten die freudig erregten Angestellten und klatschen nach der Rückkehr ihrer prominenten Gäste begeistert in die Hände. Sie behalten vorerst ihre Arbeit – zumindest bis Montag herrscht in der Nobelherberge Velmore weiter Hochbetrieb.Selbstverständlich ist das nicht gewesen. Viel jedenfalls fehlte nicht, und der deutsche Tross hätte bereits gestern seine Koffer gepackt und wäre in die Heimat zurückgeflogen. Ein 1:0-Arbeitssieg im letzten Gruppenspiel gegen Ghana hat dies verhindert und den Deutschen den Einzug ins Achtelfinale beschert. Es war der bislang schwächste Auftritt der DFB-Elf in Südafrika – und nicht nur der Kapitän Philipp Lahm kannte dafür den Grund: “Wenn eine Mannschaft so viel Druck hat, dann ist es schwierig, Fußball zu spielen.”

Also doch: der Druck. Tagelang hatten vor dem Spiel alle im deutschen Lager forsch verkündet, dass es nicht einmal den Anflug von Nervosität gebe und es jeder Einzelne gewohnt sei, auch unter großem Druck seine Leistung zu bringen. Mut machten sie sich gegenseitig – und merkten dann, dass es eben doch nicht so einfach ist, ein Spiel zu gewinnen, wenn die Blamage droht, die das erstmalige Scheitern einer deutschen Mannschaft in einer WM-Vorrunde bedeutet hätte.

Spürbar weich waren die Knie der jungen Spieler schon beim Einlauf in die riesige Hauptarena dieser WM, die Soccer City von Johannesburg – noch weicher wurden sie während des Spiels. Ein frühes Tor wollten die Deutschen schießen, das war die Marschroute, doch als dies nicht gelang, verkrampften sie von Minute zu Minute mehr. “Wir hatten Angst davor auszuscheiden”, sagt der Innenverteidiger Arne Friedrich, einer der wenigen, die sich von der Wucht und der Bedeutung dieses Moments nicht beeindrucken ließ.

Lahm: “England ist in der Favoritenrolle”

Mesut Özil hingegen war zunächst das Paradebeispiel dafür, wie ein Hochbegabter Fußball spielt, wenn ihn die Furcht vor dem Scheitern lähmt. Verängstigt schlich der Regisseur über den Platz, selbst die einfachsten Flachpässe gingen daneben. Dann jedoch drosch ausgerechnet er den Ball zum Siegtor ins Netz. Eine Befreiung war es nicht nur für Özil – auch allen anderen soll dieser verkrampfte 1:0-Sieg die Leichtigkeit zurückbringen, mit der die deutsche Elf gegen Australien ins Turnier gestartet ist. “Der Rucksack war groß und schwer”, sagt der Assistenztrainer Hansi Flick: “Jetzt wird es einfacher, weil wir unser Minimalziel erreicht haben. Die Erfahrung des Ghana-Spiels wird uns jetzt helfen.”

Wahrscheinlich sind die Trainer nicht traurig darüber, dass es im Achtelfinale nicht gegen die Amerikaner, sondern gegen England geht. Das ist zwar der schwerstmögliche Gegner, doch hat er, anders als die US-Auswahl, den großen Vorteil, dass ein Sieg keine Pflicht ist. “Wir haben jetzt mehr zu gewinnen als zu verlieren”, sagt der Angreifer Cacau , der gegen Ghana kein schlechtes Spiel machte, allerdings auch zeigte, dass er in der Rolle der einzigen Spitze nicht die Idealbesetzung ist. Nicht nur aufgrund der drohenden Ausfälle der muskelverletzten Bastian Schweinsteiger und Jerome Boateng heißt die neue Strategie nun: bloß keinen Druck aufbauen, bloß keine Erwartungen schüren. Flugs haben alle die Bürde des Gewinnenmüssens den Engländern zugeschoben. Es ist ein durchschaubares, angesichts der Erfahrung des Ghana-Spiels aber auch sehr nachvollziehbares Vorgehen.

Philipp Lahm sagt: “England hat lauter Weltklasseleute und ist in der Favoritenrolle.” Cacau sagt: “Da sind wir nur Außenseiter.” Und Joachim Löw sagt: “Dieser Gegner ist brandgefährlich.” Den Einwand, dass die Engländer in der Vorrunde noch mehr Probleme als sein Team gehabt hätten und sich nur als Zweite qualifiziert haben, lässt er nicht gelten: “Jeder weiß, dass sie sich im Laufe eines Turniers steigern können.” Forsche Töne gibt es dann doch noch – natürlich kommen sie von Thomas Müller. Zwar war auch er gegen Ghana wirkungslos, sein Selbstvertrauen aber findet er schnell zurück. Er kenne die Geschichte der deutsch-englischen Klassiker nur ein bisschen, er kenne “Gary Lineker und solches Zeugs”, sagt Müller. Das interessiert ihn aber nicht, wichtig sei nur, “dass wir die heutigen Engländer wegputzen”.

(STZ 25.6.10)

VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 0.0/10 (0 votes cast)
VN:F [1.9.7_1111]
Rating: 0 (from 0 votes)