Gestern bin ich seit langem mal wieder mit einem gewissen Optimismus zu einem Spiel gefahren. Nicht weil ich plötzlich von unserer Truppe und der sportlichen Leitung überzeugt wäre, aber, das Spiel gegen Hertha war zumindest in kämpferischer Hinsicht ein Fortschritt und außerdem gaben die Hessen schon des Öfteren unseren Aufbaugegner. Das emotionale Europaleague-Aus der Eintracht, das schwere Donnerstag-Spiel in den Knochen, taten ein Übriges. Und, ein klein wenig Fußballsachverstand darf man den Verantwortlichen ja schon auch unterstellen, was die Hoffnung nährte, dass sie nicht ohne Grund, trotz dieser unvergleichlichen Negativserie, an Bobic und Schneider festhielten.
So war Frankfurt für mich ein Schlüsselspiel, das wir unter keinen Umständen verlieren durften. Personell konnte Schneider auf den wiedergenesenen Kapitän Gentner und den nach Gelb-/Rot-Sperre zurückgekehrten Moritz Leitner zurückgreifen. Zudem stand Cacau erstmals nach 1 ½ Jahren wieder in der Anfangself. Nach druckvollem Beginn der Eintracht fand der VfB nach zwanzig Minuten zunehmend zu mehr Sicherheit und versuchte das Mittelfeld durch schnelles Konterspiel zu überbrücken, was uns nach einer guten halben Stunde das 0:1 durch Martin Harnik einbrachte. Groß war natürlich der Jubel und die Erleichterung, dennoch traute man dem Braten nicht so recht, zumal ernsthafte Torabschlüsse beim VfB weiterhin eine Seltenheit sind. Zu oft kommt der letzte Pass nicht an oder wird ein entscheidender Zweikampf verloren. Die Fehlpassquote und Zweikampfbilanz sprachen auch in diesem Spiel wieder eindeutig für den Gegner.
In der zweiten Halbzeit ließ sich der VfB mehr und mehr hinten rein drängen, ohne groß in Gefahr zu geraten, weil man noch weitestgehend gut stand und war im Sturm fast nicht mehr vorhanden. Glück hatten wir, als Aytekin nach vermeintlichem Foul von Cacau schon auf Elfmeter entschied, sein Assistent an der Linie aber intervenierte und er diesen schließlich (mutig) zurücknahm. Nicht einmal solche Umstände, die uns in die Karten spielen und den Gegner demotivieren könnten, vermögen wir in dieser Zeit auszunutzen. Trotz allem muss Alexandru Maxim in der 78. Minute das 2:0 machen und der Fisch wäre geputzt gewesen. Boka hat sich mit einer klasse Willensleistung gegen Zambrano den Ball erkämpft und passte mustergültig auf den mitgelaufenen Rumänen, doch diesem versprang der Ball, so dass er aus drei Metern den Ball nicht etwa im leeren Tor unterbrachte sondern meterweit vorbei schoss. Haste Scheiße am Fuß, hast scheiße am Fuß könnte man sagen, ich sage, es sind diese (späten) unsäglichen Konzentrationsmängel, die uns vermutlich die Liga kosten werden. So kam es, wie ich es befürchtet hatte und wie es im Grunde kommen musste. Nach einem erneut katastrophalen Abschlag von Ulreich, der wie ein Bumerang zurück kommt, hebt Rüdiger das Abseits auf und sage und schreibe drei Frankfurter haben freie Bahn. Frankfurts Joker Rosenthal war es schließlich, der zum Ausgleich vollendete. Ein Tor, wie ich es in der Bundesliga noch überhaupt nicht gesehen habe, so ein dilettantisches Abwehrverhalten, auch das wird uns letztenendes das Genick brechen. In der 90. Minute schließlich ließ sich unser selbst ernannter Führungsspieler Georg Niedermeier mit einem Beinschuss im Strafraum düpieren, so dass Alex Meier leichtes Spiel hatte und den Frankfurter Siegtreffer markieren durfte.
Der VfB stellt mit mittlerweile 49 Gegentoren nach dem HSV die zweitschlechteste Abwehr, auch wenn diese den Namen eigentlich nicht verdient hätte. 2,13 Gegentore pro Spiel, so viele kannst Du vorne gar nicht schießen, schon gar nicht, wenn man es kaum schafft Überraschungsmomente zu schaffen und niemand den Mut hat auch mal aus der zweiten Reihe abzuziehen.
So war die achte Niederlage in Folge und die elfte aus den letzten zehn Spielen besiegelt. Mal wieder schlichen die Spieler wie begossene Pudel in die Kurve um sich regungslos die immer lauter werdenden Schimpftiraden der treuen Fans anzuhören. Einige, wie Traore, der schon die Tage zählt, bis er uns verlassen darf, drehten gleich wieder ab, andere ließen sich noch auf das eine oder andere Gespräch ein.
Schneider trottete, die Hände in den Taschen vergraben, hinterher und scheint mit seinem Latein am Ende zu sein.
Klar kann er die Dinger, wie die hundertprozentige von Maxim, nicht selbst versenken. Auch klar, dass er einem gestandenen Spieler wie Ulreich nicht noch erklären müssen sollte, wie man Abstöße schlägt und dass er zu seiner Zeit noch anders zu Werke gegangen ist, als es Niedermeier beim 2:1 tat.
Dennoch wirft das bisherige Wirken Schneiders Fragen auf. Weshalb darf Sakai Woche für Woche seine Bundesligauntauglichkeit unter Beweis stellen? Unbedrängte Fehlpässe, gepaart mit katastrophalem Stellungsspiel, in dieser Verfassung hat er auf dem Platz nichts zu suchen. Kein Zufall schließlich, dass der entscheidende Treffer über Sakais Seite fiel. Das weiß inzwischen jeder Gegner, wo wir besonders leicht zu knacken sind.
Weshalb verhindert ein Gentner die Einwechslung von Haggui? Wer hat das Sagen? Kann es nicht doch sein, wie man immer wieder hört, dass die Mannschaft Schneider nicht ernst nimmt?
Auch die Wechsel erfolgten zu spät. Erfahrene Trainer nutzen diese auch einmal als eine Art „Auszeit“, um dem Gegner den Schwung in einer Drangphase zu nehmen, nicht so Schneider. Er hat ein Gottvertrauen und hofft, es werde schon irgendwie gutgehen.
Ich kann nur immer wieder betonen, dass es mir um Schneider Leid täte, wenn er als schwächstes Glied der Kette seinen Spind räumen müsste. Sein Talent, ein guter Trainer zu werden, möchte ich ihm nicht absprechen, sicherlich sammelt er derzeit Erfahrungen fürs weitere „Trainer-Leben“, ob er jedoch in der Lage ist, den Bock umzustoßen, ich glaube es nicht. Das Grundübel ist die Mannschaft, in sich zerstritten, eine profihafte Einstellung (auf und außerhalb des Platzes) vermissen lassend, die es nicht schafft, wenigstens als Zweckgemeinschaft zu funktionieren und sich neunzig und nicht nur achtzig Minuten zu konzentrieren. (Mindestens) einer pennt immer, was zu der Flut von Gegentoren führt und die uns verzweifeln lässt.
Bobic, der diese nicht harmonierende Truppe zusammengestellt hat, wird als der Totengräber des VfB in die Geschichte eingehen. Anscheinend gibt es auf der Geschäftsstelle keine Streitkultur mehr, seit Bobic auf den meisten Posten „seine“ Leute installiert hat. So hat er sich den Status als Alleinherrscher erarbeitet bzw. an sich gerissen, und es scheint, dass ihm der Erhalt dieses Status‘ mehr wert ist als das Wohl des VfB. Spieler, die unbequeme Wahrheiten aussprachen wurden nach und nach aussortiert, zuletzt William Kvist, der in der jetzigen Situation eine Stütze sein könnte.
So kämen wir bei einem Trainerwechsel wohl eher vom Regen in die Traufe. Leute wie Stanislawski und Fink würden in Bobic‘ Beuteschema passen, sind es doch eher stille Vertreter der Zunft und würden den Job mit Kusshand übernehmen. Alte Weggenossen wie Balakow und Soldo, die als Duo im Gespräch sind, würden ihm ebenso ähnlich sehen, sind es doch Freunde vergangener Tage, denen man zu gern einen gut dotierten Posten verschaffen würde.
Im Gegensatz dazu würde sich ein Bobic sicherlich nicht den von mir favorisierten Gross (den er ja selbst entlassen hat) ins Haus holen, abgesehen davon, dass es sich Gross sicher auch nicht antun würde, noch einmal unter Bobic zu arbeiten. Wenn Gross, dann als starker Mann und anstelle von Bobic.
Auch Stevens oder Schaaf, die für ihre knorrige Art bekannt sind, wären Alphatiere, die sich von Bobic nicht sagen lassen würden, wie der Hase hier zu laufen hat. Aufgrund ihrer großen Erfahrung wäre es ihnen zwar zuzutrauen, den Karren wieder flott zu bekommen, jedoch, wie es scheint, ist Bobic sein Machterhalt wichtiger als der Klassenerhalt.
Morgen also sollen Aufsichtsrat und Vorstand entscheiden, ob es tatsächlich mit Schneider weiter gehen und er gegen Braunschweig die neunte Niederlage in Folge anpeilen darf. Ich hoffe, man sieht den Tatsachen ins Auge und erkennt dass die Zusammenarbeit Mannschaft – Trainer vermutlich irreparabel beschädigt ist. Dann muss gehandelt werden und zwar sofort.
Mir ist es auch klar, dass es ein schmaler Grat ist, auf dem gewandelt wird. Verlässt man den eingeschlagenen Weg mit einem jungen unerfahrenen Trainer, der das Konzept mit trägt, vermehrt auf den eigenen Nachwuchs zu setzen? Holt man einen Trainer-Fuchs wie z. B. Stevens, der sicherlich eher auf erfahrene Kräfte setzen würde, als auf unsere Grünschnäbel? Nimmt man den Abstieg bewusst in Kauf, weil keine andere Lösung den Erfolg garantieren würde? Oder setzt man noch einmal alle Hebel in Bewegung, um es wenigstens versucht zu haben? Je länger man wartet, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Unheil noch abgewendet werden kann. Langsam aber sicher laufen uns die Spiele davon. Diesbezüglich kann man es fast bedauerlich finden, dass der SC Freiburg und der Hamburger SV sich ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckern und (noch) hinter uns stehen. Hätten die etwas konstanter gepunktet und uns auf den vorletzten Platz verdrängt, wäre sicherlich schon die Reißleine gezogen worden.
Will man weiterhin bedingungslos an Schneider festhalten, notfalls mit ihm in die zweite Liga gehen, dann sollen die Vereinsoberen doch gleich einmal ein schlüssiges Konzept vorlegen. Bislang hört man nur von Horrorszenarien, die einen den Untergang vom VfB befürchten lassen im Falle des Worst Case. Stand jetzt dürfte so gut wie kein Spieler feststehen, der bereit ist, auch im Unterhaus die Stiefel für den VfB zu schnüren, ganz abgesehen davon, ob wir sie überhaupt noch sehen wollten. Geschweige denn kann sich noch niemand vorstellen, mit welchem Budget man dieses Abenteuer angehen müsste, in welchen Bereichen es Einschnitte geben müsste, ob wir die Raten fürs Stadion und fürs Nachwuchszentrum noch stemmen könnten, und, und, und. Würde es uns einmal jemand erklären, dass auch im Falle des Abstiegs nicht aller Tage Abend wäre, vielleicht kann man sich die zweite Liga dann auch schon mal schön reden. Vielleicht wäre es wert abzusteigen, schon allein, um nächste Saison keinen einzigen Spieler von der derzeitigen Zweckgemeinschaft mehr sehen und ertragen zu müssen. Ganz ehrlich, in dieser Truppe habe ich keinen Lieblingsspieler mehr, das gab es in meiner Zeit als VfB-Fan eigentlich noch nie. An die Spieltermine müsste man sich gewöhnen und reichlich Urlaub opfern, dafür gäbe es aber mal wieder jede Menge neuer Stadien und neue Eindrücke. Wir würden einige Auswärts- zu Heimspielen machen, wobei dann zu hoffen wäre, dass bis dahin der Heimkomplex abgelegt werden konnte. Vielleicht gelänge es, wie nach dem Abstieg 1975, eine spielstarke Mannschaft mit jungen Spielern, überwiegend aus der Region, zusammenzustellen, der es wieder Spaß macht, zuzuschauen, mit der man sich ein Stück weit identifizieren kann, die vor hat, den VfB wieder dorthin zu bringen, wo er hingehört, nämlich in die Bundesliga. Bei den Fans würde sich die Spreu vom Weizen trennen und die Dauerkarte (vermutlich) günstiger werden. Ich als Fan würde den Kopf nicht in den Sand stecken und wäre auch im Unterhaus so oft es geht dabei.
Seit gestern habe ich mich fast schon mit dem Abstieg abgefunden und kann mir derzeit nicht einmal vorstellen, wie wir Braunschweig schlagen wollen. Die stellen sich zu elft hinten rein, der VfB findet keine Lösungen dieses Abwehrbollwerk zu knacken und ein oder zwei Abwehrfehler fabrizieren wir sowieso jedes Mal.
Entweder es geschieht etwas, das noch einmal eine Aufbruchsstimmung entfachen könnte oder wir gehen sang- und klanglos (r)unter. Die Hoffnungen mit der derzeitigen Konstellation habe ich gestern endgültig zu Grabe getragen.
3. März 2014