22. November 2016

Wenn jemand eine Reise tut…

Es ist ein Jammer, dass man als VfB Stuttgart erst absteigen muss, um zu einem Spiel beim altehrwürdigen Arbeiterverein 1. FC Union Berlin aufbrechen zu dürfen.

Da ich bereits etliche Male in Berlin war und daher nicht unbedingt übernachten musste, entschlossen wir uns dieses Mal, unser Glück in die Hände der Deutschen Bahn zu legen und den Trip mit Hin- und Rückfahrt an einem einzigen Tag zu bewältigen. Bei optimalem Verlauf und pünktlicher Ankunft sollten wir gerade einmal eine Stunde vor Spielbeginn eintreffen und das mir sonst so wichtige „Meet and Greet“ mit vielen bekannten Gesichtern dieses Mal leider der Zeitnot zum Opfer fallen. Auf der anderen Seite aber war es auch klar, dass man im einzigen ICE, der an diesem Sonntagmorgen in Frage kam, viele Bekannte treffen und sich auch so gemeinsam aufs Spiel einstimmen konnte.

Auf der Hinfahrt hatten wir eine freundliche DB-Zugbesatzung an Bord. Einziger Kritikpunkt: meine Nachfrage, ob sie denn genügend Bier an Bord hätten und notfalls unterwegs die Vorräte auffüllen würden, weil in Göttingen noch viele über Würzburg kommende durstige VfBler zusteigen würden, wurde ignoriert oder positiv ausgedrückt, unterschätzt. Nach und nach ging zunächst das Fassbier aus, dann die 0,33-Liter-Fläschchen und schließlich auch das Weizenbier, so dass wir den letzten Part der Strecke auf dem Trockenen saßen. Es wird sich mir nie erschließen, dass so gut wie keine Fahrt mit der Deutschen Bahn reibungslos verläuft. Entweder die Kühlung fällt aus oder die Getränke gehen aus, so dass es interessant zu eruieren wäre, wie viel Umsatz der Deutschen Bahn dadurch durch die Lappen geht.

Solang ein Unternehmen wie die Deutsche Bahn nicht über den Tellerrand der Fahrscheinpreise hinausschaut und nicht sämtliche Einnahmemöglichkeiten ausschöpft, ist es für mich ein Jammern auf hohem Niveau, wenn wieder einmal Preiserhöhungen mit gestiegenen Kosten begründet werden.

Zeitlich lief alles optimal, gegen 11.40 Uhr erreichten wir den Berliner Ostbahnhof und setzten die Reise mit der S-Bahn über das Ostkreuz bis nach Berlin-Köpenick fort. Wir hatten uns dieses Mal über einen uns bekannten 1. FC Union-Fan Karten über den Mitgliederverkauf besorgt und mussten die Karten zunächst noch vor der Haupttribüne in Empfang nehmen. Da wir uns dummerweise um die Blockaufteilung im Vorfeld nicht scherten, „verliefen“ wir uns zwischenzeitlich kurz, doch, wir lagen noch sehr gut in der Zeit, so dass wir es rechtzeitig in das Stadion „Alte Försterei“ hinein schafften.

Wir saßen (natürlich) inmitten von Unionern, so dass ich es, wie zuletzt auswärts fast schon regelmäßig, vorzog, neutral gekleidet zum Spiel zu gehen, man will schließlich nicht provozieren. Zudem prangten an unserem Eingang Schilder „kein Zutritt für Gästefans“, so dass ich in voller VfB-Montur ohnehin nicht hinein gedurft hätte.

Das Stadion erfüllte alle meine Erwartungen. Ein reines Fußballstadion, das größte in Berlin übrigens, volles Haus, ein begeisterungsfähiges Publikum und viel gelebte Tradition, die man dort förmlich riechen kann.

Der 1. FC Union Berlin ist kein gewöhnlicher Profiverein, ähnlich wie der FC St. Pauli versucht er trotz aller Kommerzialisierung die traditionalistische Note und die Nähe zu den Fans zu bewahren. Diese danken die Fan-Nähe auf ihre Art, nämlich, indem sie sich weit über das “normale” Fan-Dasein in den Verein einbringen und engagieren. Dies ging sogar so weit, dass beim 1. FC Union als einem der ersten Clubs überhaupt ein Fanvertreter einen Sitz im Aufsichtsrat bekam, es ging weiter damit, dass Fans, als die Regionalliga-Lizenz in Gefahr war, die Aktion “Bluten für Union” ins Leben riefen. Das „Bluten“ stand dabei nicht nur für finanzielles Bluten, sondern war wörtlich zu nehmen, weil Unioner zu jener Zeit Blutspenden gingen und die erhaltenen Aufwandsentschädigungen ihrem Verein spendeten.

Es gab es in diesem Zusammenhang noch weitere Aktionen, um Geld für den Verein zu sammeln, wie z. B. Benefiz-T-Shirts, von denen sogar ein “Bluten-für-Union”-Shirt in meinem Schrank hängt.
Das kam seinerzeit so, dass Union Berlin-Fans den FC St. Pauli bei der Retter-Aktion unterstützten und die St. Paulianer dann im Gegenzug für die „Bluten für Union“ Aktion die Werbetrommel rührten. Da ich einige Freunde bei St. Pauli habe, die sich seinerzeit aktiv einbrachten, bekam auch ich Wind von der Aktion und bestellte mir dieses Shirt.

Einzigartig war beim 1. FC Union Berlin auch der Teilumbau des Stadions in der Saison 2008/2009, als mehr als 2.300 freiwillige Helfer 140.000 Arbeitsstunden leisteten und so ihrem Verein einige Millionen Euro eingespart haben. 2010 machten die Union-Fans schließlich noch von sich reden, als sie den Spielausfall gegen den KSC verhinderten, indem rund 400 Freiwillige kamen, um Stadion und Zufahrtswege von Eis und Schnee zu befreien. Auch andere Events wie das alljährliche Weihnachtssingen, zudem sich 30.000 in der Alten Försterei einfinden, um Weihnachtslieder anzustimmen oder das WM-Wohnzimmer, zu dem Fans für die Dauer der WM 2014 ihre Couch in die Alte Försterei befördern durften und das Event dadurch „wie zu Hause“ genießen konnten, sind wohl einzigartig im deutschen Fußball. Da bin ich ganz Fußball-Romantiker und habe ein Faible für Vereine, die sich durch positive Aktionen vom Einheitsbrei der Profiligen abheben.

Zu DDR-Zeiten war Union zudem so etwas wie der Gegenpol zum Stasi-Club Dynamo Ost-Berlin, so dass sich dort schon damals eher die Außenseiter der Gesellschaft anstatt der Mainstream tummelte. Auch heute noch hebt sich Union von vielen anderen ostdeutschen Fußballvereinen und Fanszenen dadurch ab, dass die Fans eher links denn rechts orientiert und vor allem nicht auf Krawall gebürstet sind. Auch das und natürlich die Stimmung, die man im Fernsehen so mitbekommt, machen mir den Verein schon seit geraumer Zeit sympathisch, so dass ich mich riesig darauf freute, wenigstens ein Mal zu einem Pflichtspiel dorthin reisen zu dürfen.

Wir saßen also inmitten von Unionern und bekamen zunächst einmal eine Schalparade zum Vereinslied “Eisern Union” geboten. Zum Einlauf der Teams folgte eine schöne Choreographie der VfB-Fans anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Schwaben-Kompanie Stuttgart. Immer wieder beeindruckend, mit welcher Hingabe und in immer kürzer werden Abständen die VfB-Ultras, ob daheim oder auswärts, Choreos in die Stadien der Republik zaubern.

Nach der wieder einmal schier endlos langen Länderspielpause hatte ich richtig Bock auf Fußball und Stadionatmosphäre und saugte die Eindrücke noch auf, als der VfB bereits in der 3. Minute die Führung durch Simon Terodde erzielte. Der Ex-Unioner beförderte ein Zuspiel von Gentner humorlos in die Tor-Mitte. Spätestens hier outeten wir uns als VfBler, obwohl inkognito unterwegs, denn, bei einem VfB-Tor springt man halt automatisch auf.

Zu diesem Zeitpunkt stellten wir dann auch verwundert fest, dass wir in diesem Sektor bei weitem nicht die einzigen VfBler waren. Negative Reaktionen auf unseren kurzen Emotionsausbruch stellte ich nicht fest, die Unioner waren uns ganz freundlich gesonnen, schließlich haben wir mit Hertha BSC ja auch den gleichen “Feind”.

Umso peinlicher und zum fremdschämen empfand ich es, als nach wenigen Minuten das aus dem VfB-Block so obligatorische “Scheiß Berliner” kommen “musste”, gegen einen Gegner, dem man noch nie begegnet ist, mit dem einen also keinerlei Negativerlebnisse verbinden und von derer Seite meines Wissens nach auch nichts abfälliges über den VfB kam. Ob es Vorkommnisse im Gästeblock gegeben hat, weiß ich natürlich nicht, aber, schon allein die Tatsache, wie viel Material die Ultras hinein nehmen durften, zeugt doch davon, dass man der VfB-Fanszene gegenüber positiv gestimmt war. Zudem war das „Scheiß Berliner“ begrifflich noch falsch, denn, DEN Berliner gibt es ohnehin nicht, ist doch jeder Stadtteil eine Stadt für sich. Die Unioner begegneten uns gastfreundlich, ich persönlich habe kein einziges negatives Wort vernommen.

Nach der Führung hatte der VfB das Spiel im Griff, während dem 1. FC Union nicht sehr viel einfiel und er den Rückstand erst einmal verarbeiten musste. Der VfB machte jedoch einmal mehr den Fehler, in die alte Lethargie zu verfallen und das Ergebnis mehr verwalten denn ausbauen zu wollen.

Gerade, wenn ich nicht die allerbeste Defensive habe, um es noch positiv auszudrücken, also stets damit rechnen muss, ein dummes Gegentor einzufangen, gerade dann bemühe ich mich doch, mich sicher in Führung zu bringen, damit ein einziges Gegentor mir nicht die Butter vom Brot nimmt. Der VfB hatte eine Stunde lang die Partie im Griff und versäumte es, Kapital aus der Überlegenheit zu schlagen, so dass er sich hinterher über das Remis auch nicht zu beschweren braucht.

Da der VfB nicht vehement genug auf den Ausbau der Führung gedrängt hatte, kam es, wie es kommen musste. Durch ein Missverständnis zwischen Langerak und Kaminski konnte Skrzybski ins leere Tor zum Ausgleich einschieben. Dadurch wachte nicht nur die Mannschaft der Eisernen auf, sondern auch das Publikum, das mir zuvor recht verhalten erschien. Wenigstens in dieser Hinsicht ist der 1. FC Union ein ganz normaler Verein – der Funken muss vom Rasen auf die Ränge überspringen.
Der Kessel bebte von nun an, vor allem ihr “Unsere Liebe. Unsere Mannschaft. Unser Stolz. Unser Verein. Eisern Union” aus vielen tausend Kehlen ging mir unter die Haut, wie ich zugeben muss. Da bin ich Fußball-Fan genug, um auch die Atmosphäre beim Gegner genießen und vor allem wertschätzen zu können, wenngleich diese eben immer dann besonders gut ist, wenn es der VfB nicht ist.

So ist der Fußball, von nun an hatten wir ein komplett anderes Spiel. Der VfB ließ sich förmlich einschnüren, während Union, nun mit dem Publikum im Rücken, auf die Entscheidung drängte. Dass den Unionern der Siegtreffer nicht mehr gelang und es letztlich beim Remis geblieben ist, ist weniger der Souveränität der Brustringträger geschuldet, sondern dem Glück des Tüchtigen und dem, dass Mitch Langerak seinen Fehler beim Gegentor mehrfach ausbügelte.

Vor dem Spiel schrieb ich von Chance und Risiko zugleich, dieses Spiel betreffend. Ich sah durchaus Parallelen zum Dresden-Spiel und die Gefahr, in Köpenick ähnlich unterzugehen. Die Vorzeichen waren ähnliche. Nach einer Länderspiel-Pause, bei einem Ost-Verein und in einem Stadion, das zum Hexenkessel werden kann.

Auf der anderen Seite war das Spiel die Chance, eine Reifeprüfung abzulegen und zu untermauern, dass man aus Dresden gelernt hat. Die Chance, die Gunst der Stunde nach dem Remis der Braunschweiger in Bochum zu nutzen und erstmals in dieser Saison die Tabellenspitze zu erklimmen.

Diese Prüfung hat der VfB allenfalls mit einem „ausreichend“ abgeschlossen. Wohl auch der frühen Führung geschuldet, wurde es ein ganz anderes Spiel als in Dresden, als man es dort versäumte, die ersten Chancen zur Führung zu nutzen und nach dem ersten Gegentor alle Dämme brachen.

Was den gemeinen Fan in der Kurve oder auf der Tribüne weiterhin zur Weißglut treiben lässt, ist diese Selbstzufriedenheit und fehlende Gier der Mannschaft. Mit einer knappen Führung im Rücken gibt man sich zu schnell zufrieden, anstatt den Auftrieb und den Schwung nach einem Führungstreffer mitzunehmen und bestenfalls an einem solchen Tag etwas fürs Torverhältnis zu tun. Nachdem der VfB es offensichtlich nicht bedingungslos darauf anlegte, als Tabellenführer aus diesem Spieltag zu kommen, ist es die Frage, die mich auch heute noch umtreibt, wie dieser Punkt einzuordnen ist.

Tabellarisch hat sich nicht viel geändert, außer Hannover 96 konnte kein Spitzenteam dreifach punkten. Wir stehen weiterhin auf einem direkten Aufstiegsplatz und haben bei heimstarken Unionern immerhin nicht verloren. Sollte sich die wiedergewonnene Heimstärke fortsetzen und wir die nächsten Spiele gegen den 1. FC Nürnberg und Hannover 96 erfolgreich bestreiten, kann man sicherlich von einem gewonnenen Punkt sprechen. Geht jedoch das Duell gegen unseren Angstgegner aus Bundesligazeiten, den Glubb, verloren, dürfte das Wehklagen über die vergebene Chance bei Union schon beginnen.

Dem VfB gingen in der hitzigen Schlussphase vor allem die fehlenden Mentalitätsspieler Kevin Großkreutz und Hajime Hosogai, aber auch Tobias Werner ab, die für Ruhe und Besonnenheit hätten sorgen können und sich nicht zu schade sind, dazwischen zu hauen, wenn es mal sein muss.

Sorgenkind bleibt weiter Alexandru Maxim, der es noch immer nur zum Ergänzungsspieler bringt und auch gestern keine Eigenwerbung für mehr Startelfeinsätze betreiben konnte. Wenn man sich seine Körpersprache derzeit ansieht, muss man befürchten, dass die Zeichen auf Trennung stehen, vielleicht schon in der Winterpause.

Als der Schlusspfiff ertönte und sich die Mannschaft nach kurzem Abstecher in die Kurve in die Kabine begab und wenig später zum Flughafen chauffiert wurde, begann für uns die eigentliche Tortur der Tour.

Zunächst einmal führte der Weg uns zum Busparkplatz, um noch den Jungs und Mädels vom RWS und anderen, die mit dem Bus anreisten, einen kurzen Besuch abzustatten, bevor wir uns dann langsam aber sicher zurück zum Ostbahnhof begaben.

Planmäßige Abfahrtszeit war 17.52 Uhr, genug Zeit also, um nicht in Hektik zu verfallen, auch wenn ich mich kurzzeitig mal um eine Stunde verschätzt hatte und dadurch die Pferde unnötig scheu machte.

Wir aßen noch kurz etwas, deckten uns aber für die gut 5-stündige Fahrt nicht groß mit Proviant ein, im Zug gäbe es ja auch etwas, so unser positiver Denkansatz vor der Abfahrt. Doch da hatten wir die Rechnung ohne die Bahn und ihr an diesem Abend eingesetztes Personal gemacht.

Der Zug startete am Ostbahnhof, war also noch leer und fuhr etwa 15 Minuten vor der planmäßigen Abfahrtszeit ein. Wir platzierten uns, wie bereits auf der Hinfahrt, direkt im Bordbistro. Dass der Rollladen der Verkaufstheke vor der Abfahrt noch geschlossen ist, ist normal, so dass wir dem keine besondere Bedeutung beigemessen hatten.

Zu dieser Zeit lief schon eine junge Bahn-Bedienstete herum und legte Flyer auf die Tische, denen zu entnehmen war, was es im Bistro so alles zu verköstigen gibt. Falsch, sie legte sie nicht hin, sondern knallte sie uns auf den Tisch, bevor ein erstes Wort gesprochen war.

Ich bedankte mich trotzdem artig, was diese jedoch nicht dazu bewog, ein “bitte” zu erwidern. Da merkten wir bereits, dass sie dieser Dienst zu dieser Zeit am Sonntagabend offensichtlich ziemlich frustriert. Dazu fällt mir zu erst ein, “Augen auf bei der Berufswahl”. Wer diesen Beruf wählt, sollte zum einen mit der Schichtarbeit kein Problem haben und zum anderen serviceorientiert denken und so handeln und nicht von sich aus schlechte Stimmung verbreiten.

Mein erstes Bier bekam ich noch anstandslos an der Theke, ehe die Situation eskalierte. Es waren natürlich noch andere VfBler im Bistro und der Lautstärkepegel entsprechend. So muss es vorne (ich bekam das nicht richtig mit), Wortgefechte gegeben haben, mit der Folge, dass es plötzlich hieß, wir bekämen nichts mehr zu trinken.

Dabei soll sich die Bahn-Mitarbeiterin (über die ich mich wohl auch noch förmlich bei ihrem Arbeitgeber beschweren werde) herabgelassen haben, einen Bahnkunden (der wir ja alle waren) als “Schwabenpack” zu bezeichnen.

Dass darauf ein verbales Echo folgte, war selbstverständlich. Jedenfalls hatte dies alles, noch auf Berliner Boden wohlgemerkt, zur Folge, dass der Rollladen geschlossen und der Alkoholverkauf, natürlich nur an uns, eingestellt wurde.

Da “Schwabenpack” einem wohl erzogenen und seinem Arbeitgeber verpflichteten Mitarbeiter wohl im Dienst eher nicht über die Lippen kommt, ist bei dieser…, bevor ich mich im Ton vergreife nenne ich sie einfach Uschi, ist also bei dieser Uschi offensichtlich keine Kinderstube vorhanden gewesen.

Möglicherweise ist Uschi Hertha-”Fan” und kann Beruf und Privates nicht voneinander trennen oder sie wollte den in weiten Teilen Berlins verhassten Schwaben eines auswischen.

Man weiß es nicht, das Verhalten dieser Uschi jedenfalls ist durch nichts zu entschuldigen und sollte, ich hoffe, es hagelt Beschwerden, Konsequenzen nach sich ziehen. Dass sich der Zugchef dann auch noch vorbehaltlos vor seine Kollegin stellt, ist zwar möglicherweise als loyal anzusehen, auf Schlichtung und Konsens war er aber auch nicht aus.
Er, auch Berliner, vielleicht aus ähnlichen “Motiven” nicht gut auf Schwaben zu sprechen, ließ überhaupt nicht mit sich diskutieren. Im Gegenteil: Ein Stuttgarter Polizist, wohl unserer Begleitung zugedacht, wollte gerade eine Ansprache an uns richten und mahnte besonnen zur Ruhe. Er erläuterte, dass wir zu laut seien und das Singen unterlassen sollen, wenn wir noch was zu trinken bekommen möchten. Wohlgemerkt waren dies die ersten Worte, die an die Allgemeinheit und nicht nur an die an der Theke stehenden Fahrgäste gerichtet wurden, wir „hinten“ bekamen zuvor nämlich überhaupt nicht mit, wie sehr die Kacke wohl schon am Dampfen war. Von unzähligen Bahnfahrten zuvor kenne ich es, dass sich das Zugpersonal, wie unter erwachsenen Menschen üblich, artikuliert und sich meldet, wenn ihm etwas nicht passt. Nicht so in diesem Fall. Der Polizist wollte noch die Situation beruhigen, als sich der Zugchef plötzlich einmischte, es wäre zu spät, die Hundertschaft wäre schon angefordert.

Der Stuttgarter Polizist, der wirklich sehr besonnen und entspannt war, versuchte noch, den Zugchef von derart überzogenen Maßnahmen abzuhalten, jedoch ohne Erfolg. Wohlgemerkt, bis zu diesem Zeitpunkt wurden höchstens zwei, drei Lieder angestimmt, die nicht einmal von der Mehrheit der Anwesenden mitgesungen wurden, es kam zu keinerlei Beleidigungen unsererseits und vor allem kam es zu keinerlei Sachbeschädigungen, nicht einmal ein Glas ging bis dahin zu Bruch.

In Berlin-Spandau dann wurde der Zug gestoppt und hielt sich dort etwa 40 Minuten lang auf. Wie viele Polizisten in Kampfmontur sich einfanden, kann ich nicht sagen, sie kamen kleckerlesweise angerannt und waren bis zur Weiterfahrt sicher keine volle Hundertschaft.

Wahrscheinlich haben sie sich über ihren „Einsatz“ totgelacht, weil es nichts zu tun gab für sie. Der Polizist an Bord und unsere Fanbetreuung hatten die Lage im Griff, war doch jeder besonnen und nicht auf Krawall aus, sondern wollte „nur“ von der Bahn heimgefahren werden.

Um nicht Gefahr zu laufen, bei einer eventuellen Räumung des Bord-Bistros durch die Polizei mittendrin statt nur dabei zu sein, „verkrochen“ wir uns für kurze Zeit in einen Abteilwagen, wo sich das Verständnis anderer Bahnreisender über die Maßnahmen des Zugpersonals ebenfalls schwer in Grenzen hielt.

Wie es immer so schön in den Verspätungs-Rechtfertigungsberichten der Bahn heißt, lagen auch dieser “polizeiliche Ermittlungen” zugrunde. Wenn mir die Vorkommnisse an diesem Abend zu etwas die Augen geöffnet haben, ist es das, wie hausgemacht Verspätungen bei der Bahn sein können und, was so alles in die Statistiken über Gewalt im Fußball einfließt. Man kann Gift darauf nehmen, dass die Kosten des Polizeieinsatzes eher gewalttätigen Fußballfans zugeschrieben werden als überforderter, unmotivierter und unfreundlicher Bahnmitarbeiter.

Die Stimmung während der gesamten Fahrt blieb angespannt, dem Polizisten an Bord wurde es nicht langweilig. Ein anderer Bahnbediensteter zeigte drei VfBler wegen Beleidigung an, und erhielt im Gegenzug eine Anzeige wegen Gewaltandrohung.

Das Personal hatte uns offensichtlich von vornherein auf dem Kieker und durfte, gestern jedenfalls ungestraft, ihren Frust und Hass auf die Schwaben, im wahrsten Sinne des Wortes, in vollen Zügen ausleben.

So fand dieser an und für sich tolle Tag am Abend seinen unrühmlichen Höhepunkt. Sollten irgendwann zu dieser Fahrt und zur eigenen Rechtfertigung seitens der Bahn Bilder auftauchen, die den Bistrowagen als Saustall dokumentieren, dann in erster Linie deshalb, weil wir bei mehr als sechs Stunden Aufenthalt überhaupt keinen Service geboten bekamen. Es wurde weder ein Tisch abgeräumt noch abgewischt, so dass es nicht verwunderlich ist, vor allem bei der rasanten Fahrweise des Lokführers, dass das eine oder andere Glas abstürzt. Zu mutwilligen Sachbeschädigungen kam es definitiv nicht.

Mein Eindruck war, dass weder unsere Fanbetreuung noch der anwesende Polizist die Wahl der Mittel der Bahnbediensteten im Entferntesten nachvollziehen konnten. Über persönliche Konsequenzen, die ich ziehen könnte, bin ich mir noch nicht im Klaren. Eine Beschwerde bei der Bahn wird es mit Sicherheit geben. Mein erster Anlauf online aus dem Zug heraus wurde umgehend wieder gelöscht, weil ich die Uschi fälschlicherweise als Schnepfe in Uniform bezeichnete, der zweite wird aber mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lassen.

Eine weitere mögliche Konsequenz wäre, bspw. zu unserer Fahrt nach Hamburg im Januar den Proviant selbst mitzubringen und damit, wir rechnen mit etwa 40 Leuten, einen Abteilwagen voll zu müllen und die Bahn erheblich an Umsatz zu kosten. Einen Monopolisten einfach zu boykottieren, ist leider nicht ganz so einfach, auch wenn es mir im Moment danach wäre.

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